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Arnar Guðmundsson zeigt in „Beautiful Beings“ die gewaltsamen Eskalationen in einem isländischen Küstenort und die Freundschaft einer adoleszenten Clique.

Beautiful Beings (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Trotzige Suche

Es gibt Filme, die das Schöne in schönen Dingen, etwa der Liebe, hervorheben – mal lustig, als RomCom, mal bittersüß, als Melodram. Und es gibt Filme, die das Hässliche in hässlichen Dingen, etwa der Gewalt, betonen – mal exzessiv, als Horror, mal realitätsnäher, als Krimi oder Thriller. Das Schöne inmitten des Hässlichen zu entdecken, ist indes eine Kunst, die deutlich seltener versucht wird – vielleicht auch deshalb, weil es letztlich fast nie gelingen mag, da zu viele Fallen auf dem Weg liegen, allen voran die Glorifizierung von etwas offensichtlich Problematischem.

Die richtige Balance zu finden, funktioniert am häufigsten noch in Filmen mit Coming-of-Age-Thematik. Vermutlich deshalb, weil die Zeit des Heranwachsens eine Phase ist, in der Höhen und Tiefen, Aufbau und Zerstörung, Lachen und Heulen so dicht beieinanderliegen, dass sie leicht und schnell von einem ins andere umschlagen können. Zu den Filmemacher:innen, die dieses Schwanken zwischen Extremen stimmig in Worte und Bilder, in Text und Subtext fassen können, zählt etwa neben Gus Van Sant (My Private Idaho) und Gregg Araki (Mysterious Skin) auch der Isländer Guðmundur Arnar Guðmundsson, der in seinem Langfilmdebüt Herzstein (2016) von der Freundschaft zweier Jungen und vom sexuellen Erwachen erzählte.

In seinem neuen Werk Beautiful Beings setzt der Drehbuchautor und Regisseur diese Linie gekonnt fort. Einiges, was bereits in Herzstein angelegt war, finden wir hier erneut: das Dasein im (gefühlten) Nirgendwo, die Flucht der Jugendlichen vor der Welt der Erwachsenen, die Kameradschaft unter Gleichaltrigen. Nur scheint in diesem Küstenstädtchen, das als Schauplatz dient und keine der üblichen idyllischen Naturkulissen bietet, alles noch etwas kaputter, verwahrloster und brutaler zu sein – weshalb die Suche nach dem Schönen, die der Titel bereits vorwegnimmt, noch um eine Spur hartnäckiger ausfallen muss.

Anfangs erleben wir mit, wie der 14-jährige Balli (Áskell Einar Pálmason) Opfer einer besonders heftigen Mobbingattacke wird, die ihn ins Krankenhaus und in die Lokalnachrichten bringt. Als die Clique um Addi (Birgir Dagur Bjarkason), Konni (Viktor Benóný Benediktsson) und Siggi (Snorri Rafn Frímannsson) auf den introvertierten Jungen aufmerksam wird und ihn in seinem Haus aufsucht, in dem er oft tagelang allein ist, wirkt dies zunächst wie ein Übergriff. Die Aggressionen brodeln, alles scheint auf Hohn und Spott, auf körperliche und geistige Verletzung hinauszulaufen.

Aber mehr und mehr schält sich in der Dynamik zwischen den vier Schülern ein eigentümlicher Zusammenhalt gegen süchtige Eltern oder gnadenlose Mobber heraus. Beautiful Beings ist kein klassischer Lobgesang auf freundschaftliche Werte. Dafür bleibt alles viel zu rau und ruppig. Immer wieder bricht die Grausamkeit hervor, die längst zum Alltag der Figuren geworden ist. Ein Pilzrausch, ein nächtliches Eindringen ins Freibad – das sind stets nur flüchtige Momente der Unbeschwertheit, von denen wir wissen, dass sie bald wieder von der Bedrohung, von Schlägereien und Attacken, abgelöst werden. Und doch lassen sie gerade bei Balli und Addi so etwas wie Hoffnung aufkeimen.

„Ich glaube, alles wird gut“ oder „Danke, dass du mein Freund bist“ sind reichlich banale Sätze, die in zahllosen Romanen, Stücken, Filmen und Serien gesagt werden – die allerdings selten so verblüffend trotzig daherkommen wie in diesem Fall. Die Jungs weigern sich einfach, sich von dem Schmerz, der ihnen angetan wird, in die endgültige Dunkelheit ziehen zu lassen. Sie gewinnen einer fragilen, äußerst ambivalenten Freundschaft so viel Kraft ab, dass es ihnen möglich ist, gestärkt in eine Zukunft zu blicken, die in vieler Hinsicht ungewiss ist. Sie sehen einen Ausweg, obwohl ihnen dieser mit allen erdenklichen Mitteln versperrt wird.

Eine Besonderheit des Films sind zudem die spirituellen Elemente, die ganz organisch in das Geschehen integriert werden. Addi, dessen Mutter Guðrún (Anita Briem) Anhängerin der Ananda-Marga-Philosophie ist, träumt von einer Katastrophe. Guðmundsson nimmt die Momente des Übernatürlichen ernst und verleiht der Geschichte damit noch mehr Sensibilität, gibt ihr einen weiteren Hauch von Zärtlichkeit, die in diesem Umfeld gewiss die größtmögliche Rebellion ist.

Beautiful Beings (2022)

Der 14-jährige Balli ist ein Außenseiter. Er lebt mit seiner drogenabhängigen Mutter in einem verwahrlosten Haus und wird von den Mitschülern gemobbt. Für sein Glasauge ist ein Stiefvater verantwortlich, der „dachte, das Gewehr sei nicht geladen“. Als Balli die gleichaltrigen Jungen Addi, Konni und Siggi kennenlernt, entwickelt sich vorsichtig eine Freundschaft. Für Balli zum ersten Mal in seinem Leben. Vor allem mit Addi, dessen Mutter an „das Unterbewusste“ glaubt, scheint ihn etwas zu verbinden. Auch Addi arbeitet sich an eigenen Dämonen ab. Als Addis Visionen darauf hinweisen, dass Ballis brutaler Stiefvater nicht mehr länger zu ertragen ist, wollen die Jungen handeln. (Quelle: Berlinale 2022)

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