Bastard in Mind (2019)

Du weißt, ich liebe das Leben

Schockdiagnose: Aneurysma. Vier Mal sieben Millimeter groß. Lebensbedrohlich, denn diese verdammte Arterien-Aussackung könnte jederzeit zerreißen, was niemand überleben wird, so lautet die eiskalte Erklärung der Mediziner. Ihnen gegenüber sitzt am 28. Juli 2014 der chronisch produktive Berliner Dokumentarfilmguerillero Sobo Swobodnik (Der Papst ist kein Jeansboy/Berlin – Aus diesem Trallala kommst du nicht raus/SEXarbeiterin): fassungslos und zugleich sofort in sich gekehrt. Was habe ich da gerade erfahren? Wie schlimm steht es wirklich um mich? Habe ich jetzt nur noch zwei Monate zu leben?

Was nun in seiner extrem subjektiv erzählten, filmisch-experimentell angelegten Nabelschau Bastard in Mind in 86 geballten Mindfuck-Minuten folgt, ist eine gleichermaßen mitreißende wie zahlreiche Fragen aufwerfende Dokumentarfilmstudie über den stets unsicheren Kern des Lebens sowie die eigene Endlichkeit: erst recht im direkten Angesicht des Todes nach einer eigentlich belanglosen Routineuntersuchung, nach der im Anschluss nichts mehr ist, wie es war. Ist das nun ein gnadenloser Fingerzeig des Schicksals? Ein Art Bestrafung? Oder purer Zufall? Und damit verbunden die Chance auf einen radikalen persönlichen Neuanfang?

Sobo Swobodnik schleudert dem titelgebendem Miststück nachfolgend ein ebenso kühn formuliertes wie utopisch grundiertes „Ich akzeptiere den Tod nicht“ entgegen, ehe er in nächsten Moment wiederholt von der eigenen Schockstarre befallen wird und zwangsweise lernen muss, nicht mehr vollständiger Herr seiner Sinne zu sein oder die eigene Sprechfähigkeit teilweise einzubüßen, was die innere tournée d’horreur noch einmal radikal beschleunigt.

Letzte Ausfahrt: OP. So schnell als möglich, auch wenn das Risiko selbst wiederum wahnsinnig hoch ist. Im Grunde unabhängig von Größe, Lage und Form des Aneurysmas: nur soviel steht definitiv fest. Denn was kann man in dieser krassen Ausgangslage letzten Endes überhaupt noch verlieren? Es ist eben „ein Scheißgefühl. Es kann jeden Tag zu Ende sein.“

Bastard in Mind, der 2019 auf dem DOK.fest München seine Weltpremiere feierte, markiert im ebenso vielfältigen wie hochtourigen Oeuvre des Filmemachers eine persönliche Zensur und fungiert nach Lebe schon lange hier (2014) und Klassenkampf (2020) als vorerst abschließendes Verbindungsstück eines autobiographisch angelegten Filmtryptichons von, über und mit Sobo Swobodnik.

Zum ersten Mal stand der gebürtige Schwabe selbst als Hauptprotagonist im Fokus jenes musikalisch erneut ausgesprochen faszinierenden (Musik: Elias Gottstein) wie furios montierten (Editor: Manuel Stettner) Dokumentarfilmessays, das auf wunderbare Weise in kein formal-ästhetisches gängiges Schema passt, sondern stattdessen selbst einen permanenten Partisanencharakter aufweist.

So folgen darin etwa Bergmansche Turmuhrschläge auf den in knalligem Rosa gehaltenen Filmtitelausschnitt („Bastard“). Intime Polaroids mischen sich mit medizinischen MRT-Aufnahmen. Und vertrackt-anspruchsvolle Spiegeleinstellungen reihen sich mit karikierenden Elektropopmaschinen- und Rasierklingengeräuche, die das nahende Ende des Regisseurs heraufbeschwören und im selben Atemzug wie zum Trotz zur finalen Feier des Daseins einladen: Die Party des Lebens ist schließlich (noch) nicht vorbei.

Komplettiert durch offenes Gedankenkreisen („Ich merke, wie ich langsam, aber stetig, wahnsinnig werde.“) aus dem Off, über splitterhafte Einblendungen von Kafka-Fotografien bis hin zur Todesanzeige des beinahe gleichaltrigen Schriftstellers Wolfgang Herrndorf (1965-2013) reicht die audiovisuell packende Palette Swobodniks.

Was als sarkastische Himmelfahrt beginnt („Gibt es ein Leben nach dem Tod? Wenn nein, was sagt die Rentenversicherung dazu?“) und sich in Bastard in Mind wiederholt in ein höllisch-assoziatives Schreckensszenario verwandelt, triggert durch seine universelle Thematik jeden Zuschauer im Publikum an. Genau so hatte es auch der Autor dieser Filmkritik in seiner Rolle als Moderator eines spannungsgeladenen Q & As mit dem unkonventionellen Filmemacher in München erlebt: „Wenn man dem Drecksack Tod einmal ins Maul geschaut hat, hat man automatisch einen völlig neuen Blick auf das Leben an sich gewonnen.“ Dem ist auch 2022 zum Kinostart nichts mehr hinzuzufügen.

Bastard in Mind (2019)

Am 28. Juli 2014 wurde bei einer Zufallsuntersuchung ein lebens­bedrohliches Aneurysma (eine Arterien-Aussackung) im Gehirn des Regisseurs dieses Films entdeckt, das schleunigst operativ behandelt werden musste. Aufgrund von Größe, Form und Lage des Aneurysmas war zunächst nicht klar, ob und nach welcher Methode überhaupt operiert werden kann. Die beängstigende Diagnose, dieser Wink des Schicksals und die zwei langen traumatischen Monate bis zum operativen Vollzug, in denen das Aneurysma jederzeit hätte platzen können, was mit großer Wahrscheinlichkeit den Tod bedeutet hätte, bildet den Inhalt des Films. Dabei versucht der Regisseur, basierend auf den während dieser Zeit gemachten Notizen, durch unterschiedliche formale und stilistische Herangehensweisen filmisch und künstlerisch dieser damaligen Extremsituation retrospektiv nahe zu kommen. (Quelle: Partisan Filmverleih)

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