Bastard

Eine Filmkritik von Lena Kettner

Spiel mit mir

Eines Tages steht er vor Anjas Tür. Ein Junge, den sie noch nie zuvor gesehen hat und der seinen Namen nicht nennen will. Er spiele mit Anjas Sohn Fußball und brauche seine Schienbeinschoner für das nächste Spiel, sagt er. Langsam und bedächtig streift er durch das Zimmer des neunjährigen Nikolas, berührt wie selbstverständlich dessen persönliche Gegenstände. Lähmendes Entsetzen überfällt Anja, als dieser Junge Nikolas Stoffhasen an sich reißt, doch sie lässt ihn gewähren, macht er doch Andeutungen, dass er hinter der Entführung ihres seit Tagen vermissten Sohnes steckt.
Als die Kriminalpsychologin Claudia Meinert diesen Fall übernimmt, ahnt sie noch nichts von den Abgründen, die sich auftun werden: von dem dunklen Geheimnis einer Mutter, der verzweifelten Identitätssuche eines jungen Menschen, von einer Familientragödie im Stil eines griechischen Dramas. Carsten Ungers Spielfilmdebut Bastard ist weit mehr als ein spannender Thriller, er ist das Abbild einer in Gefühls- und Sprachlosigkeit erstarrten Erwachsenenwelt, die ihren Kindern auf dem schwierigen Weg zum Erwachsenwerden keine Orientierung bieten kann.

Der mysteriöse junge Namenlose war sich seiner Identität sicher, bis er seine Adoptionspapiere findet. Seine Schulkameradin Mathilda hingegen kennt ihre Familie genau. Die Mutter ist Alkoholikerin, der Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Eine kleine Lolita, die im Schwimmbad die körperliche Nähe von verheirateten Männern sucht, nur um einmal für einen kurzen Moment einen Vater an ihrer Seite zu haben. Die Gier nach Liebe und Geborgenheit macht sie beide zu Monstern, bereit sich mit Gewalt zu nehmen, was das Leben ihnen verwehrt hat.

Diese eiskalten kleinen Engel beginnen ein perfides Machtspiel mit den Eltern des entführten Nikolas. Sie dringen in den Alltag von Anja und ihrem Mann ein und glauben, in der Terrorisierung der beiden Erwachsenen so etwas wie ein harmonisches Familienleben gefunden zu haben. Die Sorge um ihren Sohn lässt den Eltern keine Wahl: sie sehen sich gezwungen, die Jugendlichen in ihr Haus aufzunehmen. Der junge Namenlose nimmt sogleich Nikolas Platz ein, kümmert sich um die geliebten Hasen, schläft in Nikolas Bett. Die gemeinsamen Mahlzeiten bieten den Pubertierenden zum ersten Mal in ihrem Leben Sicherheit und Vertrauen, für die Eltern werden sie hingegen zur Tortur. Selbst die Kriminalpsychologin ist dazu bereit, das Spiel der Halbwüchsigen für eine gewisse Zeit mitzuspielen.

Bereits 2004 und 2007 war Carsten Unger mit zwei Kurzfilmen zu Gast in Hof. Sein Spielfilm Bastard, der in diesem Jahr die Hofer Filmtage eröffnet hat, ist eine Mischung aus Thriller und psychologischem Kammerspiel, ein Horrortrip in die Abgründe der menschlichen Seele — laut und in grellen Farben. Und die Geschichte eines dunklen Geheimnisses: Anjas Vergewaltigung vor vierzehn Jahren. In ihrer Not hat sie ihr Kind, den kleinen „Bastard“ Leon, in die Babyklappe gegeben, nicht ahnend, dass dieser sie Jahre später aufsuchen, ihren Sohn entführen und sein Recht auf Mutterliebe einfordern würde. Am zynischen Psychoterror gegen seine Mutter stillt Leon nun seine Rachegelüste. Anjas schlechtes Gewissen liefert sie ihrem eigenen Sohn aus. Die einstige Täterin beugt sich ihrem Peiniger, lässt ihn sogar im Ehebett übernachten. Markus Krojer als Leon, bisher vor allem bekannt für seine Rollen in Marcus H. Rosenmüller-Komödien wie Wer früher stirbt, ist länger tot, ist die Überraschung dieses Films, abgebrüht und kindlich-naiv zugleich.

Unger zieht nicht nur alle Register des Genrekinos, sondern bedient sich vor allem vieler Klischees, um die Entwicklung seiner Geschichte voranzutreiben. Und läuft damit immer wieder Gefahr, seine Figuren auszustellen, gäbe es da nicht die leisen, authentischen Szenen, in denen die immense Kraft des Films liegt. Wenn Mathilda die Mutterrolle übernimmt und ihre Mutter unter die kalte Dusche stellt, weil diese wieder einmal zu viel getrunken hat oder wenn Leons Mutter der Kriminalpsychologin erklärt, dass er in seinem Alter keine Zärtlichkeiten mehr brauche, offenbart dies die ganze Grausamkeit eines gesellschaftlichen Systems, in dem Jugendliche mit Engelsgesichtern zu Monstern werden.

Bastard

Eines Tages steht er vor Anjas Tür. Ein Junge, den sie noch nie zuvor gesehen hat und der seinen Namen nicht nennen will. Er spiele mit Anjas Sohn Fußball und brauche seine Schienbeinschoner für das nächste Spiel, sagt er. Langsam und bedächtig streift er durch das Zimmer des neunjährigen Nikolas, berührt wie selbstverständlich dessen persönliche Gegenstände.
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Meinungen

Volker · 19.05.2013

Bei 99 von 100 Kinofilmen gehen vor dem Abspann die Lichter an und die Zuschauer rennen aus dem Kino.
Diesmal blieben alle sitzen. - Das sagt alles!
Ganz tolles Kino!
Glückwunsch Carsten

Bernd · 17.05.2013

"BASTARD" mit Markus Krojer ("Wer früher stirbt ist länger tot"-Hauptdarsteller) und Martina Gedeck : ein hochspannender Psychothriller, um einen Jungen, der nach seiner Geburt in einer Babyklappe abgegeben wurde, im Teenageralter seine leibliche Mutter findet, deren anderes Kind entführt und mit dieser Entführung gewaltsam versucht, seine verlorene Elternliebe wiederzubekommen. Dramatisch, extrem, hochspannend, heftig ! Starke Darsteller und ungewöhnliche Bilder und Kameraführung, intensiv und packend ! Volle Empfehlung!

GePe · 17.03.2013

Sehenswert, anspruchvoll und zugleich kurzweilig ja unterhaltsam. Sorgt anschliessend fuer Gespraechstoff.