Baikonur

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Ein modernes Märchen

Es heißt ja immer, dass die Träume die schönsten sind, die sich nie verwirklichen. So ähnlich verhält es sich mit der Liebesgeschichte in Veit Helmers vierten Spielfilm Baikonur. Für ein modernes Märchen wie dieses kann man sich wohl kaum einen bizarreren Ort vorstellen als Baikonur, den weltweit größten Raketenplatz, von dem vor 50 Jahren Juri Gagarin als erster Mann ins All gestartet ist.
Baikonur ist ein Ort der Gegensätze. Hier trifft das Hightech der Weltraumfahrt auf die Archaik der kasachischen Steppe. Und hier treffen auch der scheue, kasachische Dorfbewohner Iskander (Alexander Asochakov) und die französische Weltraumtouristin Julie Mahé (Marie de Villepin, Tochter des ehemaligen französischen Premierministers Dominique de Villepin) aufeinander. Iskander, genannt Gagarin, und seine Dorfnachbarn leben von dem Schrott, den die Raketen von Baikonur abwerfen. Julie sitzt in einer von diesen Raketen, die sie für 20 Millionen Dollar immer weiter in die Schwerelosigkeit bringt.

Als sie allein in einer Kapsel zur Erde zurückkehrt und durch den Aufprall in ein Koma fällt, nimmt Iskander sie wie den Weltraumschrott einfach mit zu sich nach Hause, in seine ärmliche Jurte, versorgt, wäscht und versteckt sie. Denn wie sagt so schön ein altes kasachisches Gesetz: Was vom Himmel fällt, darf man behalten. Während die russischen Behörden ob der verschwundenen Julie immer besorgter werden, hält Iskander sie weiterhin versteckt. Er geht sogar soweit, dass er „seiner Verlobten“ das Brautkleid seiner verstorbenen Mutter anzieht und mehrmals versucht, sie wach zu küssen.

Als Julie aus dem Koma erwacht, hat sie nicht nur die Orientierung, sondern ihr komplettes Gedächtnis verloren. Wie im Trance bewegt sie sich durch die Steppe. Erst bei einem Liebesspiel, kommt sie wieder ganz zu sich und verflucht Iskander für sein Verhalten und seine Lügen. Julie kehrt zurück und Iskander wird – um einen Skandal zu vertuschen – als Held gefeiert und mit einem Job in Baikonur belohnt.

Es ist schon bemerkenswert, dass Veit Helmer es geschafft hat, in Baikonur drehen zu dürfen. Er gewinnt Einblicke und Bilder, die zuvor noch nie in einem Spielfilm zu sehen waren. Baikonur ist einmalig auf der Welt. Der Ort war zur Zeit des Kalten Krieges streng geheim und auf der Landkarte absichtlich 400 Kilometer vom wirklichen Baikonur vermerkt. So ein Ort ist reif für einen Dokumentarfilm, den Veit Helmer zwar nicht gedreht, doch auf eine geniale Weise in sein Märchen eingebunden hat. Die Liebesgeschichte wirkt leider konstruiert und trägt den Film nicht bis zum Schluss.

Abgesehen von der Geschichte gibt Baikonur interessante Denkanstösse. Wie auf einem Präsentierteller führt der Film uns die Armut der Dorfbewohner, die sich einzig und allein von Dosenfleisch ernähren und das Reichtum der Weltraumtouristin, die ohne zu Überlegen im Weltall mehrere Briefmarken für 2000 Dollar pro Stück erwirbt, vor Augen. Wohin führt uns der Trend, wenn zum Beispiel Richard Branson demnächst Weltraumflüge für 200.000 Dollar anbietet? Wird Weltraumtourismus zum Normalfall? Wer hat noch nicht davon geträumt, ins Weltall zu fliegen? Wenn man sich Träume kaufen kann, hört man wohl auf zu träumen. Denn sind nicht die schönsten Träume die, die man sich nicht erfüllen kann?

Veit Helmer sagt selbst von sich, mit dem Film seinen Traum, ins All zu reisen, abgearbeitet zu haben. Mit seinem Film zeigt er vielmehr, was hinter diesem Traum steckt, wie man als Kosmonaut in eine Kapsel gepfercht wird oder vorab ein hartes Schwerelosigkeitstraining absolvieren muss. Wer gern einmal den Start einer Rakete beiwohnen möchte, kann für mehrere Tausend Euro eine Reise nach Baikonur buchen. Oder für ein paar Euro eine Kinokarte kaufen.

Baikonur

Es heißt ja immer, dass die Träume die schönsten sind, die sich nie verwirklichen. So ähnlich verhält es sich mit der Liebesgeschichte in Veit Helmers vierten Spielfilm „Baikonur“. Für ein modernes Märchen wie dieses kann man sich wohl kaum einen bizarreren Ort vorstellen als Baikonur, den weltweit größten Raketenplatz, von dem vor 50 Jahren Juri Gagarin als erster Mann ins All gestartet ist.
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