Babamin sesi - Die Stimme meines Vaters

Eine Filmkritik von Lena Kettner

Fernes Rauschen

Eigentlich wollte Mehmet nur seinen endgültigen Umzug in die Stadt vorbereiten. Doch dann findet er diesen Koffer mit einem Zeitungsartikel, in dem von einem Massaker an Kurden berichtet wird — und eine Reihe alter Tonbänder. Endlich scheint die Zeit gekommen, Antworten auf die Fragen zu finden, die in immer gequält haben. Doch seine Mutter zieht sich in eines der zahlreichen Zimmer im Haus zurück und schweigt. Sie würde diesen Koffer mit Erinnerungsstücken am liebsten für immer verschlossen halten — und die Gedanken an die vergangenen Zeiten aus ihrem Gedächtnis verbannen.
Welch ein Stimmengewirr muss in diesen vier Wänden geherrscht haben, als Mehmets Vater und sein Bruder Hasan noch hier lebten. Heute umfängt Basê in Orhan Eskiköys Film Babamin sesi — Die Stimme meines Vaters eine gespenstische Stille in ihrem Haus, das in seiner kargen Ausstattung wie eine Leichenhalle wirkt. Mehmet war noch ein Kind, als sein kurdischer Vater als Gastarbeiter nach Saudi-Arabien ging. Nicht nur ihn, sondern auch Mehmets älteren Bruder Hasan hat Bâse ans Ausland verloren – er lebt mittlerweile als bewaffneter kurdischer Widerstandskämpfer im Untergrund. Jedes noch so kleine Geräusch von draußen lässt sie aufhorchen und zaubert für einen kleinen Moment ein zaghaftes Lächeln auf die Lippen der alten Frau.

Die Vergangenheit scheint wie ausgelöscht in diesem Haus auf dem Land, wären da nicht die alten Tonbandaufnahmen. Sie waren in vielen kurdischen Familien oft der einzige Weg, Kontakt zu den Angehörigen zu halten. Denn ein Telefon besaßen die wenigsten und schriftliche Kommunikation wurde durch den Analphabetismus vieler Kurden verhindert. „Sprich vor den Kindern nicht über die schlimmen Zeiten. Lass sie keinen Hass entwickeln. Sorge dafür, dass sie mit jedermann auskommen“, spricht eine Männerstimme auf einem der Tonbänder. Doppelt gestraft war die Familie von Vater Mustafa und seiner Frau Bâse als Kurden und als Angehörige der alevitischen Minderheit in der Türkei. Auch wenn Bâse ihre Gefühle im Film stets unter Kontrolle hat: man spürt ihren tiefen Schmerz, als sie Mehmet von dem Pogrom von Maraş berichtet, bei dem 1978 über 100 Leute ums Leben kamen.

Es braucht einige Zeit, um sich auf die inszenierte Langsamkeit von Babamin sesi — Die Stimme meines Vaters einzulassen. Und darauf, dass die Vergangenheit lediglich durch Erzählungen rekonstruiert wird. Subtil tritt die politische Dimension des Films zu Tage, indem die Außenwelt immer wieder in den scheinbaren Schutzraum des Hauses eindringt: Nachts erhält Bâse Anrufe, bei denen sich niemand meldet, dann wieder spricht sie in das leere Rauschen der Telefonleitung und eines Tages stehen mehrere Männer in ihrem Vorgarten und fragen nach Hasan. Als sich Bâse langsam dazu durchringt, Mehmet Antworten auf seine Fragen zu geben, beginnt er zu verstehen, warum seine Mutter so lange über die Vergangenheit geschwiegen hat.

Dass die Darsteller dieses Films, Asiye und Zeynel Doğan, auch in Wirklichkeit Mutter und Sohn sind und in Babamin sesi — Die Stimme meines Vaters ihre eigene Familiengeschichte erzählt wird, erstaunt. Denn der türkische Regisseur Orhan Eskiköy findet trotz der dokumentarischen Züge eine ganz eigene Erzählform für sein Drama über Verlust, Vergangenheitsbewältigung und verlorener Identität. Indem dieser Film einem Drehbuch folgt und Asiye und Zeynel Doğan ihre eigene Geschichte aus der Distanz eines Schauspielers heraus aufarbeiten, bleibt Babamin sesi stark im Fiktionalen verhaftet. So gelingt es Eskiköy, anhand dieses Einzelschicksals das Porträt einer ganzen Generation kurdischer Türken zu zeichnen, die das Trauma der Ausgrenzung und der Heimatlosigkeit bis heute nicht verarbeitet hat, was vielleicht auch daran liegt, dass diese Erfahrungen immer noch ihr Leben bestimmen.

Babamin sesi - Die Stimme meines Vaters

Eigentlich wollte Mehmet nur seinen endgültigen Umzug in die Stadt vorbereiten. Doch dann findet er diesen Koffer mit einem Zeitungsartikel, in dem von einem Massaker an Kurden berichtet wird — und eine Reihe alter Tonbänder. Endlich scheint die Zeit gekommen, Antworten auf die Fragen zu finden, die in immer gequält haben. Doch seine Mutter zieht sich in eines der zahlreichen Zimmer im Haus zurück und schweigt. Sie würde diesen Koffer mit Erinnerungsstücken am liebsten für immer verschlossen halten — und die Gedanken an die vergangenen Zeiten aus ihrem Gedächtnis verbannen.
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Meinungen

Josef Wutz · 07.10.2012

Moin, der von Ihnen als Orginal mit englischen Untertiteln präsentierte Trailer hat türkische Untertitel. Macht Laune. Es gibt schon seit geraumer Zeit einen Trailer mit deutschen UT, ein Plakat mit deutschem Titel und eine FSK-Entscheidung:FSK 0 - alles auf der Homepage www.babamin-sesi.de-