Art's Home is my Kassel

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Blättern im Bilderalbum einer temporären Kunstmetropole

Normalerweise geht es in der nordhessischen Provinz ja eher beschaulich zu. Alle fünf Jahre aber, wenn die dOCUMENTA die Kunstsinnigen und Kunstverrückten zu sich ruft, wird Kassel zur globalen Kulturmetropole, zum Nabel der Welt, neben dem sich während der 100 Tage echte Zentren wie New York, Paris oder London wie Nebenschauplätze ausnehmen. Die beiden aus Kassel stammenden Filmemacherinnen Katrin und Susanne Heinz verfolgen die Vorbereitungen auf den Ansturm auf „ihre“ Stadt und den Verlauf der dOCUMENTA selbst und stricken daraus eine ebenso widerborstige wie charmante Liebeserklärung an die temporäre Metropole, die vor allem Kunstinteressierte und Kasselaner selbst interessieren dürfte. Denn trotz der zentralen Stellung, die die dOCUMENTA bei dem Film innehat, erfährt man über die Kunstschau recht wenig — sie bildet eher den Hintergrund für Beobachtungen über das Wesen der Provinz und den „clash of cultures“ zwischen großer weiter (Kunst)Welt und der der eher engen und miefigen Heimat.
In Kassel, das zumindest suggerieren die ersten Bilder, ist über das Jahr nicht gerade viel los — dies zumindest ist der Eindruck, den eine Taxifahrerin vermittelt, die gegenüber einer anderen Frau ihr Leid über mäßige Geschäfte klagt. Erst mit der dOCUMENTA ginge es, so die abschließende Hoffnung, steil bergauf. Das klingt umso dramatischer, wenn man weiß, dass die Kunstschau nur alle fünf Jahre stattfindet, dass Kassel nur alle fünf Jahre im weltweiten Interesse steht — das, so intendieren die ersten Bilder, ist für all diejenigen, die hier beispielsweise als Taxifahrer ihr Geld verdienen müssen, natürlich viel zu wenig. Dann erfolgt ein harter Umschnitt zur Pressekonferenz, in der die Leiterin der dOCUMENTA13 Carolyn Christov-Bakargiev ihr künstlerisches Programm bekannt gibt.

Schon dieser Auftakt ist typisch für das dramaturgische und narrative Konzept des Films — es geht Katrin und Susanne Heinz vor allem um harte Kontrast und das Montieren von scheinbar unvereinbaren Gegensätzen: Hier die ganz alltäglichen Sorgen und Nöte der Kasselaner, für die die dOCUMENTA in erster Linie ein Geschäft ist, dort die wortreichen und etwas verstiegenen Erklärungen der Leiterin, das mediale Interesse, die große weite Welt des internationalen Kunstbetriebs. Nach ähnlichem Muster folgt der Film im weiteren Verlauf Besuchern und Galeristen, Mitarbeitern und Technikern, die sich bei den Vorbereitungen auf die Kunstschau mit den Widrigkeiten des deutschen Bürokratiewahns auseinandersetzen müssen. Auf diese Weise entsteht ein manchmal erhellendes, dann auch ein wenig redundantes Panoptikum, ein Album, das sich gewissermaßen beim Flanieren durch die Straßen und Kunstplätze Kassels selbst erschafft. Genau hierin aber liegt ein wenig der Schwachpunkt dieses Films verborgen: Die Multiperspektivität der Narration wirkt mit der Zeit ein wenig beliebig. Um das Wesen der dOCUMENTA und die Seele der Stadt zu ergründen, hätte es einer stärkeren Zuspitzung bedurft, eines schlüssigeren Konzepts, das die Strukturen und gegenseitigen Wechselwirkungen transparenter macht und deutlicher kommentiert.

Gelegentlichen Einblendungen, die dabei helfen, die Impressionen auf der chronologisch abgearbeiteten Zeitebene einzuordnen, sind fast die einzige Hintergrundinformation über den Fortgang des Mammutprojekts, an dem alle mehr oder weniger freiwillig mitarbeiten: Die Verwandlung einer beschaulichen mittleren Großstadt in ein Mekka der Kunst erfordert einiges mehr als nur minutiöse Planung seitens der Organisatoren.

Schade ist allerdings, dass bei diesem Flanieren, das den Eindruck erweckt, man sei selbst eine Art Dauergast bei der Kunstschau, der Informationsgehalt ein wenig auf der Strecke bleibt. So ist Art’s Home is my Kassel vor allem eine Art bewegtes Bilderbuch der dOCUMENTA 13 und natürlich fast schon so etwas wie ein milde kokettierender Imagefilm für eine Stadt, ihre Bewohner und ihr Großereignis.

Art's Home is my Kassel

Normalerweise geht es in der nordhessischen Provinz ja eher beschaulich zu. Alle fünf Jahre aber, wenn die dOCUMENTA die Kunstsinnigen und Kunstverrückten zu sich ruft, wird Kassel zur globalen Kulturmetropole, zum Nabel der Welt, neben dem sich während der 100 Tage echte Zentren wie New York, Paris oder London wie Nebenschauplätze ausnehmen.
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