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Anfang der 2000er läuft so einiges falsch in einem Dorf in Thüringen. Der Coming-Of-Age-Horror-Hybridfilm „Arboretum“ will uns offenbar viel sagen, weiß aber nicht genau, was oder wie.

Arboretum (2020)

Eine Filmkritik von Moritz Henze-Jurisch

Blinde Wut erzählt keine Geschichte

Fans von deutschem Kino der etwas abseitigen Art haben es schwer. Lediglich alle paar Jahre erfüllt ein Werk von der Klasse eines Nachtmahrs (Achim Bornhak / 2015) oder eines von „Der Bunker“ (Nikias Chryssos / 2015) die heimischen Kinoleinwände. In diesen seltenen Momenten denkt man sich dann aber immerhin für einen kurzen Augenblick, es könnte vielleicht doch noch etwas werden mit dem deutschen Genrefilm. Mit seinem Debütfilm „Arboretum“ versucht Regisseur Julian Richberg nun diese hoffnungsvolle Linie fortzuführen und wirft dabei eine Vielzahl an Ideen und Stimmungen zusammen. Leider übernimmt sich sein Film dabei massiv, scheitert an den eigenen Ambitionen und hat uns letztendlich wirklich gar nichts zu sagen.

Anfang der 2000er, irgendwo in einem kleinen Dorf in Thüringen, nahe der ehemaligen Grenze zwischen Ost und West, leben die beiden Teenager Erik (Oskar Bökelmann) und Sebastian (Niklas Doddo). Gelangweilt, desillusioniert und umgeben von Neonazis brodelt in beiden eine immer größer werdende Wut. Erik wird dabei von horrorartigen Visionen geplagt, findet in seiner Beziehung mit der jungen Punkerin Elli (Anna Jung) aber zumindest etwas Hoffnung. Dieser mögliche Ausweg treibt allerdings auch zunehmend einen Keil in seine Freundschaft mit Sebastian, der dadurch immer unberechenbarer wird.

Zugegebenermaßen: Reduziert man Arboretum auf die bloße Storyline, mag das Konzept des Films noch ganz vielversprechend erscheinen. Das Szenario des Films, mit seinen gruseligen Wäldern, heruntergekommen Wohnhäusern und unangenehmen Gestalten, bietet für sich genommen auch das Potenzial für einen gelungenen Horrorfilm. In den körnigen, wackeligen Aufnahmen des Films finden sich auch immer mal wieder stimmige, atmosphärische Momente und die relativ unerfahrenen Jung-Schauspielenden, wirken zumindest meistens authentisch und passend besetzt. Die vielen Probleme, die Arboretum mit sich trägt, liegen viel stärker im Kern des Films selbst – nämlich in den Tiefen der Geschichte, die erzählt werden soll und insbesondere in der extremen Nutzung von Klischees, die keinerlei Feingefühl für die vielen angesprochenen Themen erkennen lässt.

Das beginnt schon mit seinem Hauptcharakter Erik: Dieser wirkt wie ein normaler Teenager und verhält sich meistens relativ nachvollziehbar. Der Film möchte uns aber trotzdem permanent im Glauben lassen, dass in Erik ein „Psycho“ schlummert. Das schafft er allerdings nicht, indem er uns an der psychologischen Tiefe und Entwicklung der Figur teilhaben lässt, sondern indem er es auf der Bild und Sound-Ebene immer wieder behauptet. So zieht Erik beispielsweise zu verzerrtem Synthesizer-brummen mehrmals sein Klappmesser und vernimmt düstere Stimmen in seinen Kopf, die ihm irgendetwas befehlen. Nachts wandert er in den Wald, um sich im dunklen Moor mit einem Waldmonster zu unterhalten, welches völlig offensichtlich den dunklen Teil seiner Psyche verkörpern soll.

Das Monster an sich ist dabei sogar gut gestaltet und in Szene gesetzt. Das ändert aber nichts daran, dass diese Szenen nicht zu der Figurenentwicklung passen und eigentlich in einem anderen Film sehr viel besser aufgehoben wären. Vom großen Vorbild Donnie Darko (Richard Kelly / 2001) überschattet, ist den gesamten Film hinweg spürbar, dass Julian Richberg zwar dessen Bilder auf einer profanen Ebene kopieren kann, sich deren Bedeutung aber nicht bewusst ist.

Absurderweise wird im Verlauf des Films dabei auch noch schnell klar, dass diese Horrorelemente eigentlich für die Story ziemlich bedeutungslos sind. Erik soll viel zu offensichtlich unsere sympathische Identifikationsfigur bleiben. Somit wird nahezu jedem Zuschauenden schnell klar, dass sein Kumpel Sebastian am Ende derjenige sein wird, der die Kontrolle verliert und die Katastrophe herbeiführt.

Auch dieser Figur gibt der Film nahezu keine Entwicklung und es bleibt komplett unklar, woher dessen Hass auf die Gesellschaft nun eigentlich kommt. Um dem noch einen draufzusetzen, bekommen beide Figuren auch noch jeweils einen problematischen Teil der Familie zugewiesen. So ist Sebastians Opa ein Alt-Nazi und Eriks Vater ist von seinen Erfahrungen als ehemaliger DDR-Grenzwächter traumatisiert. Der Film nutzt dies allerdings auch wieder nur dazu, seine Diskursliste zu erweitern, ohne diese für seine Geschichte zu nutzen oder irgendeine Art von Aussage zu treffen.

Das Finale des Films ist dabei offensichtlich als großer Schockmoment angelegt. Aufgrund all dieser Probleme mit den Figuren und der Geschichte im Allgemeinen geht dieser Plan nicht auf; das Ende fühlt sich unverdient und sehr unsensibel an. Man spürt, dass in dieser undefinierbaren Coming-of-Age-Sozialdrama-Horrorfilm-Psychodrama-Filmgroteske, analog zu seinen beiden Hauptfiguren, eine große Wut pocht. Arboretum hätte als Film auch durchaus die Fläche bieten können, um dieser Wut einen konstruktiven Ausdruck zu geben. In seiner letztendlichen Form, kommuniziert dieser Film aber nichts an seine Zuschauenden. Deswegen wird es auch Liebhabern bzw. Fans von deutschen Independent-Produktionen sehr schwerfallen, diesem Film etwas Positives abzugewinnen. 

 

Arboretum (2020)

Erik und sein bester Freund Sebastian leben in einem Dorf an der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland. Während ihre Eltern gegen eigene Dämonen kämpfen, werden die beiden in der Schule gemobbt, das Leben scheint ihnen keine Perspektive zu bieten. Mit dem alten NVA Gewehr von Eriks Vater machen sie Schießübungen um sich bei ihren Peinigern rächen. Von einer Stimme aus dem Sumpf geleitet, wendet sich Erik immer düsteren Gedanken zu, bis ein Mädchen aus der linken Szene auftaucht, das sein Leben ordentlich auf den Kopf stellt. Auch die Freundschaft zu Sebastian bleibt davon nicht unberührt. (Quelle: achtung berlin Filmfestival)

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