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Der grausame Mord an Ihsane Jarfi, der Belgien 2012 erschütterte, dient Nabil Ben Yadir in seiner vierten Spielfilmarbeit als Ausgangspunkt für eine ebenso radikale wie niederschmetternde Auseinandersetzung mit der noch immer weit verbreiteten Homophobie.

Animals (2021)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Bestie Mensch

Im Grunde könnte alles so einfach sein. Die sexuelle Orientierung ist eine private Angelegenheit, die einzig und allein die betroffene Person etwas angeht. Punkt! Dass selbst heute, wo die LGBT+-Community endlich mehr Präsenz erhält, in der Gesellschaft weiterhin fatale reaktionäre Vorstellungen florieren, ist erschreckend und zeigt, wie viel Strecke wir bis zu echter Anerkennung und Gleichberechtigung noch zurücklegen müssen. Nach wie vor werden viel zu oft nicht-heterosexuelle Menschen nur deshalb beleidigt und angegriffen, weil sie so leben, wie sie leben. Ein besonders abscheuliches Beispiel von Homophobie erschütterte 2012 Belgien, als vier Männer den 32-jährigen Ihsane Jarfi zu Tode quälten. Von eben diesem Fall, der als erster homophober Mord in der Justizgeschichte des Landes gilt, ließ sich Nabil Ben Yadir (Blind Spot) zu seiner vierten abendfüllenden Regiearbeit „Animals“ inspirieren, einem auch formal ambitionierten filmischen Aufschrei mit drastischer Wirkung.

Was sofort ins Auge sticht, ist das enge 4:3-Format, das das Empfinden des Protagonisten Brahim (Soufiane Chilah) auf den Punkt bringt. Der junge Muslim fühlt sich in gewisser Weise eingeschnürt, bewegt sich in einem Umfeld, in dem es für gleichgeschlechtliche Liebe nur wenig Verständnis gibt. Fast niemand auf der Geburtstagsparty seiner Mutter (Anne-Marie Loop) weiß, dass er schwul ist. Und so muss sich Brahim ständig die Frage anhören, warum er mit 30 noch immer ohne Freundin dasteht. Die anwesenden Personen hingegen, die im Bilde sind, schneiden ihn oder machen ihm große Vorhaltungen. Seine komplizierte Lage drückt sich auch in seinem Verhalten aus. Nervös tigert er auf der Feier umher, während er auf seinen Freund Thomas wartet, den er plötzlich nicht mehr erreichen kann.

In zumeist langen Einstellungen folgt ihm die dicht auf die Pelle rückende Handkamera auf seinen Wegen durch das Haus und nach draußen. Diese unmittelbare Form der Inszenierung schafft ein fiebrige Intensität, erzeugt ein Brodeln, das auf die dramatischen Entwicklungen im weiteren Verlauf vorbereitet. Irgendwann nämlich seilt sich Brahim ab, um nach Thomas zu suchen, und begegnet vor einem Schwulenclub vier angetrunkenen Männern, die eine Frau bedrängen. Kurzerhand schreitet der junge Muslim ein und bietet dem Quartett an, es zu einer anderen Partylocation zu führen. Dass er in den Wagen der Gruppe steigt, erweist sich nur wenige Augenblicke später als verhängnisvoller Fehler.

Der Mittelteil von Animals beginnt mit ein paar hohlen Machosprüchen und bösen Späßen, wird für Brahim allerdings schnell zu einer grausamen Tortur. Nabil Ben Yadir, der zusammen mit Antoine Cuypers das Drehbuch schrieb, trifft an dieser Stelle eine durchaus gewagte Entscheidung. Zunehmend wechselt der Film von Brahims Sicht in die Perspektive der Täter, die Dampf ablassen wollen und ihn ununterbrochen beschimpfen, demütigen und misshandeln. Wie man es in Zeiten ständig griffbereiter Handys nicht selten erlebt, filmen sie ihr brutales Vorgehen und erniedrigen ihr Opfer damit nur noch mehr. Eine ganze Weile verengt sich das Bild auf den Smartphone-Ausschnitt, was zur unnachgiebig anwachsenden Beklemmung beiträgt, gerade weil viel von Gewackel und der Unschärfe verschluckt wird.

Schonungslos lässt uns der Regisseur am blutigen Treiben teilhaben, gibt uns keine Möglichkeit, Distanz zu wahren, und betritt dadurch natürlich heikles Terrain. Anders als etwa viele Vertreter des Horrorsubgenres namens torture porn kostet Animals die Grausamkeiten jedoch nicht lustvoll aus, sondern zielt ganz klar auf Verstörung ab. Ständig fragt man sich entsetzt, woher ein solcher Hass rühren mag? Weshalb einige Menschen tatsächlich zu solchen Gewaltausbrüchen fähig sind? Und was das eigentlich über unser menschliches Wesen aussagt? Die vier Angreifer genießen es, Macht auszuüben, und tragen ihre toxischen Vorstellungen von Männlichkeit in geradezu lächerlicher Manier vor sich her. Schockierend sind nicht nur die Schläge und Tritte. Auch der Genuss, mit dem sie auf Brahim einprügeln, lässt einen erschaudern.

Sehr überzeugend zeichnet Animals zudem die gefährliche Dynamik innerhalb der Tätergruppe nach. Zwischen zwei Personen herrscht eine latent aggressive Stimmung. Und mit Loïc (Gianni Guettaf), der – eine kleine Abzweigung in Richtung Klischee – als Einziger eine Brille trägt, gibt es einen eher ruhigen Mitläufertypen. Zunächst ziehen ihn die anderen auf. Später dann stacheln sie ihn an, als er seine Stärke beweisen will. In einer weiteren kühnen und überraschenden Wendung konzentriert sich der Film schließlich auf ihn und seine Rückkehr in den Alltag. Szenen, die zumindest eine Ahnung davon vermitteln, warum Loïc sich hat mitreißen lassen, und die Parallelen zum Anfangsdrittel in Brahims Welt aufweisen. Wenn Nabil Ben Yadir seine Geschichte mit einer Tanzszene und einem 180-Grad-Schwenk der Kamera auf einer bedrückend-traurigen Note beschließt, ist auch kräftiges Durchatmen umsonst. Frei machen kann man sich von diesem radikalen Film, der Menschenverachtung in all ihrer Abscheulichkeit illustriert, so leicht nicht – und das ist gut so!

Animals (2021)

Brahim ist dreißig, Muslim und schwul. In der Familie ist seine Sexualität immer noch ein Tabuthema, das für Spannungen sorgt – und als selbst die große Geburtstagsfeier seiner Mutter in eine Konfrontation mit den konservativen Traditionen seiner Verwandtschaft mündet, flüchtet sich der junge Belgier ins nächtliche Treiben Gleichgesinnter. Dort wähnt er sich geschützt, doch sein Eingreifen in einen Streit bringt die Begegnung mit einer Gruppe angetrunkener junger Männer und führt zur verhängnisvollsten Entscheidung seines Lebens: Brahim steigt in ihr Auto… (Quelle: Drop-out Cinema)

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