Anfang 80

Eine Filmkritik von Martin Gobbin

Opas neue Alte

„Ich habe keine Zeit für sowas!“ herrscht Rosa (Christine Ostermayer) die Krankenschwester an. Das stimmt, denn Rosa ist Anfang 80 und hat Krebs im Endstadium. Sechs Monate geben ihr die Ärzte noch. Kein Wunder, dass sie der Schwester eine knallt, nachdem diese ihre todkranke Patientin über einem Plausch mit der Kollegin ganz vergessen hat.
Doch es kommt noch schlimmer für Rosa: Als sie nach langem Krankenhausaufenthalt wieder vor ihrer Wohnungstür steht und diese plötzlich von einer fremden Frau geöffnet wird, muss die alte Dame feststellen, dass sie nicht mal mehr ein Zuhause hat. Ihre Nichte hat den Mietvertrag in Erwartung von Rosas nahendem Tod einfach gekündigt.

Gut, dass in diesem Moment zufällig der etwa gleichaltrige Bruno (Karl Merkatz) vorbeikommt und Rosa tröstet. Dass er seinen toten Kater Kreisky im Sack mit sich herum trägt und das Tier auch noch genauso heißt wie ein früherer österreichischer Kanzler, beschert ihr sogar einen Lachanfall.

Dann geht alles ziemlich schnell – denn nach ein paar Tagen bemerken die beiden Senioren, dass sie sich ineinander verliebt haben. Kein Problem für die alleinstehende Rosa. Doch Bruno steht vor einem schweren Dilemma: Folgt er den Liebeswallungen seines dritten Frühlings, muss er seine seit über 50 Jahren mit ihm verheiratete Frau Herta (Erni Mangold) verlassen – und das für nur wenige Monate mit der schwer kranken Rosa. Falls ihm hingegen Familie und Stabilität wichtiger sind, muss er auf die vermutlich letzte Chance verzichten, noch einmal das aufregende Gefühl einer neuen Liebe zu verspüren.

Leider täuscht das dramatische Potenzial dieser Situation etwas, denn Bruno trifft ziemlich rasch eine Entscheidung – und so kümmert sich die Tragikomödie von Gerhard Ertl und Sabine Hiebler gar nicht sonderlich um den Widerspruch von sicherer, aber langweiliger Stabilität und exaltiertem, aber kurzlebigem Glück. Dieses vermeintliche Grundthema wird in Anfang 80 – wie auch der nicht minder komplexe Sterbehilfe-Diskurs – letztlich nur kurz angerissen, aber nicht tiefergehend untersucht.

Im Mittelpunkt steht vielmehr die gesellschaftliche Entwürdigung alter Menschen. Diese These, dass wir die Gefühle der Alten missachten und Senioren mitunter wie Kleinkinder behandeln, hämmern die beiden Regisseure dem Film zwar etwas zu sehr ein, aber in ihrer Substanz überzeugt sie dennoch. Rosa und Bruno müssen feststellen, dass sie „unsichtbar“ geworden sind, dass ihnen kaum jemand zuhört oder dass sie als dement und unzurechnungsfähig abgestempelt werden. Für die Welt sind sie „Tote, deren Beine noch funktionieren“, sagt Rosa einmal. In einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich vor allem über die Arbeit definieren, gelten scheinbar nicht nur Arbeitslose als Menschen zweiter Klasse, sondern auch Rentner.

Allerdings wird diese profunde Sozialanalyse immer wieder von humoristischen Elementen konterkariert, die den Film auflockern sollen. Damit tun sich Ertl und Hiebler jedoch keinen Gefallen, denn der Witz von Anfang 80 schwächt die Gesellschaftskritik ab und bringt den Film mehrfach an den Rand der Lächerlichkeit. Dass sich Rosa und der verheiratete Bruno schon nach zwei Stunden Bekanntschaft küssen und beim zweiten Treffen gemeinsam in Rosas Altenheim-Zimmer schleichen, um miteinander zu schlafen, wirkt arg unwahrscheinlich. Auch eine Party mit Marihuana und Reggae-Musik steht vollkommen quer zur sonstigen Figurenzeichnung. Noch viel gravierender sind jedoch Momente, in denen der Film sich derselben Klischees bedient, die er sonst kritisiert. Das zweite Date der beiden verläuft beispielsweise ziemlich genau nach dem Muster „Opa erzählt vom Krieg“.

Zudem beschleicht einen zumindest in den ersten Minuten das ungute Gefühl, Ertl und Hiebler bewegten sich mit ihrem Film auf dem Niveau von Vorabend-Fernsehsendungen. Die Musik plätschert nett daher und erinnert nicht allzu fern an den Lindenstraße-Vorspann. Auch die Bilder sprechen TV-Serien-Sprache – keine Weite, keine Tiefe, reine Funktionalität ohne ästhetischen Eigenwert. Zum Glück steigert sich der Film im Laufe der Spielzeit – einmal durch seine Interventionen in die Altersdiskriminierungs-Debatte, und auch indem er emotionale Bindungen zwischen Publikum und Protagonisten etabliert. Mit Höhepunkten der „Liebe-im-Alter“-Welle wie Andreas Dresens Wolke 9 oder Michael Hanekes Liebe kann Anfang 80 dann aber doch nicht mithalten.

Anfang 80

„Ich habe keine Zeit für sowas!“ herrscht Rosa (Christine Ostermayer) die Krankenschwester an. Das stimmt, denn Rosa ist „Anfang 80“ und hat Krebs im Endstadium. Sechs Monate geben ihr die Ärzte noch. Kein Wunder, dass sie der Schwester eine knallt, nachdem diese ihre todkranke Patientin über einem Plausch mit der Kollegin ganz vergessen hat.
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