An einem Samstag

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Leben nach dem GAU

Es ist ein ganz normaler Samstag in Prypjat in der Ukraine, als das Unfassbare geschieht. Das, was nicht geschehen kann oder nicht geschehen darf, wenn es nach dem Willen der Funktionäre geht. Als Ingenieure ihren Vorgesetzten über den Ernst der Lage unterrichten, weigert der sich schlichtweg, die Gefahr zur Kenntnis zu nehmen, beschimpft seine Untergebenen als unfähig, greift sie körperlich an und fährt schließlich direkt zu dem geborstenen Reaktor, das immer lauter werdende Knacken und Kratzen des Geigerzählers ignorierend. Wir schreiben den 26. April des Jahres 1986, gerade eben hat sich das Unglück von Tschernobyl ereignet und wir sind mitten hineingeworfen worden in das Chaos und die Absurdität dessen, was nun folgt.
Hektisch wackelnd heftet sich die Kamera direkt zu Beginn dem jungen Ingenieur und treuen Parteimitglied Valerij Kabysch (Anton Shagin) an die Fersen und wird nicht mehr von ihm ablassen. Weil er zufällig ein Gespräch unter Ingenieuren in dem Kraftwerk belauscht hat, ist Valerij einer der wenigen, die überhaupt Bescheid wissen, welche Folgen der Unfall hat, der Stadtgespräch ist. Hin und her gerissen zwischen Loyalität gegenüber der Partei und der eigenen Panik, die ihn erfasst hat, beginnt Valerij zu laufen und wird damit nicht mehr aufhören. Schließlich zählt jede Sekunde. Aber alles Zappeln und Strampeln nützt nichts, es ist beinahe wie in einem Stummfilm oder einem Alptraum, bei dem man rennt und rennt und doch nicht von Fleck kommt — so sehr man sich auch bemüht.

Zunächst bricht Valerijs Freundin (Svetlana Smirnova-Marcinkevich) ein Absatz an ihren Stöckelschuhen ab — immerhin ist ja Samstag -, dann verpassen die beiden den Zug, der sie eigentlich wegbringen sollte und schließlich geraten sie in eine Hochzeitsfeier, bei der nicht nur der Bräutigam ein alter Freund Valerijs ist, sondern er auch mit der Band befreundet ist, die zum Tanz aufspielt. Weil deren Schlagzeuger besoffen am Boden liegt und keinen Paukenschlag mehr zustande bringt, springt Valerij ein. Denn für die Flucht, die nun eben noch ein wenig warten muss, ist es besser, sich noch schnell etwas hinzuzuverdienen. Irgendwann ahnen oder wissen auch die früheren Bandkollegen und der Bräutigam, was sich draußen abspielt, welch vergiftete Luft sie gerade einatmen. Und vielleicht sind sie sich auch gewiss, dass ihr Leben nun eine entscheidende Wende genommen hat, dass sie vielleicht nicht mehr lange leben werden. Und dennoch oder trotzdem lachen, saufen, spielen und tanzen sie die Ängste und Ungewissheiten weg — „so jung kommen wir nicht mehr zusammen… .“ Und man weiß ja, dass Rotwein ein ideales Mittel ist, um die Strahlung hinunterzuspülen.

Ginge es allein nach der läuferischen Leistung und sportlichen Präsenz des Hauptdarstellers Anton Shagin, so müsste man An einem Samstag sicherlich einen Ehrenbären für die forderndste sportliche Leistung zuerkennen. Allerdings gibt es diese Kategorie bei der Berlinale nicht und wird es wohl auch nie geben (im letzten Jahr hätte dann Benjamin Heisenbergs Der Räuber gewonnen). Mitten hinein ins Geschehen katapultiert der Film den Zuschauer und hält sich nicht lange mit Erklärungen oder unnützen Details über das Unglück auf, dessen Essenz sich sowieso jedem eingeschrieben hat, der die Nachrichten damals verfolgte. Mit großer Wucht und dramaturgisch nicht immer schlüssig durchleiden wir mit Valerij sein zielloses Anrennen gegen etwas, vor dem man nicht weglaufen kann, werden Zeugen hilfloser Wut und Aggression, erleben die Schockstarre Valerijs, die ihn dann doch in Prypjat hält, zumindest für eine Weile.

Leider reicht diese Unmittelbarkeit der Anteilnahme, die radikale Nähe, die Mindadze und sein Kameramann Oleg Mutu mittels der ultramobilen, häufig mitspurtenden Handkamera herstellen, nicht aus, um aus einem interessanten Thema auch einen guten Film zu formen. Irgendwann in den wenigen stillen Momenten wartet man förmlich darauf, dass Valerij wieder aufspringt und anfängt zu laufen. Und spätestens nach einer Stunde möchte man es ihm nachmachen, aufspringen und ebenfalls zu rennen beginnen. Aus dem Kino. Hinaus ins Leben, in die frische klare, kalte Luft…

An einem Samstag

Es ist ein ganz normaler Samstag in Prypjat in der Ukraine, als das Unfassbare geschieht. Das, was nicht geschehen kann oder nicht geschehen darf, wenn es nach dem Willen der Funktionäre geht.
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Meinungen

Stephan · 26.04.2013

Sxhließe mich der Kritik an. Es beginnt sehr spannend, wird jedoch im Verlauf durch die Krasse nähe der Kamera zum Hauptdarsteller und die langatmigen Szenen in denen nichts geschieht einfach nicht mehr erträglich. Hab es mir zum Ende hin nur noch unfreiwillig anschauen können.

Ansgar · 09.03.2012

Der Film beginnt hochspannend und sackt nachher total ab.

Auf die ausführlichen Darstellungen der Sauforgien hätte man zugunsten von wirklich substantiellen Inhalten verzichten könnnen.