Amelia

Eine Filmkritik von Florian Koch

Der Traum vom Fliegen

Man nehme eine anerkannte Regisseurin, ein stargespicktes Schauspielerensemble, einen renommierten Drehbuchautoren und gebe noch eine packende Lebensgeschichte hinzu. Aus diesen Zutaten entstehen Oscarpreisträger wie beispielsweise A Beautiful Mind. Dass dieses am Hollywood-Reißbrett entworfene Hit-Konzept auch völlig schief gehen kann, beweist der Fall Amelia. Mit vielen Vorschusslorbeeren um eine grandiose Hilary Swank als Fliegerinnenikone Amelia Earhart segelte Mira Nairs (Monsoon Wedding) opulentes Biopic im Oktober 2009 in die US-Kinos. Doch die ersten Kritiken waren vernichtend und die Zuschauer ignorierten das Drama völlig (nur 14 Millionen Dollar Einspiel). Eine Erklärung für dieses Debakel liefert die problematische Herangehensweise an die Figur Amelia Earhart. Nicht ihre komplexe Persönlichkeit steht im Mittelpunkt des Films, sondern die Beziehung zu ihrem Mentor George Putnam (Richard Gere) und das simpel-chronologische Abhandeln ihrer Errungenschaften.
Schon als Kind träumt Amelia Earhart von einer Karriere als Pilotin. Doch einer Frau wird dieser anspruchsvolle Beruf in den 20er Jahren noch nicht zugetraut. Aber Amelia lässt sich von diesen männlichen Macho-Vorurteilen nicht aus der Bahn werfen und meistert 1928 ihren ersten Transatlantikflug – allerdings nur als Passagierin. In der Presse finden ihre Hartnäckigkeit und ihre unbestrittenen Qualitäten einen positiven Widerhall. Mit der Unterstützung des New Yorker Verlegers und späteren Ehemanns George Putnam (Richard Gere) gelingt es ihr 1932 als erste Frau (und als zweiter Mensch nach dem legendären Charles Lindbergh) den Atlantik in einem Alleinflug zu überqueren. In der Heimat wird sie dafür wie ein Star gefeiert, Amelia hält Vorträge und gilt mit ihrer leidenschaftlichen und durchsetzungsfreudigen Art bald als Vorbild für viele junge Frauen. Die Beziehung zu Putnam, der zusehends im Schatten von Amelia steht, gerät aber in eine Krise, als sie sich auf eine Affäre mit dem smarten ehemaligen Football- und Basketballprofi Gene Vidal (Ewan McGregor) und späteren Vater von Starautor Gore Vidal einlässt. Diese privaten Verwerfungen halten Amelia aber nicht davon ab, Pläne für eine erste Erdumrundung entlang des Äquators zu schmieden.

Amelia beruht im Wesentlichen auf den Earhart-Biografien von Susan Butler (East to the Dawn. The Life of Amelia Earhart) und Mary S. Lovell (The Sound of Wings. The Life of Amelia Earhart). Um die Authentizität noch zu steigern, zitiert Mira Nair im Voice-Over auch aus den gut dokumentierten Tagebucheinträgen von Amelia und schneidet immer wieder Original-Bildmaterial aus Wochenschauen in ihren Film. Trotz all dieser Bemühungen gelingt es der Inderin nicht, wirkliches Interesse für die Figur zu erzeugen. Das ist umso bedauerlicher, weil der im frühen Alter von 40 Jahren 1937 im Pazifik verschollenen Pilotin eine so große Ausstrahlungskraft nachgesagt wurde. Von Amelias berühmter Streitbarkeit, ihrem Unabhängigkeitsstreben, ihrer Abgebrühtheit auch in den härtesten Drucksituationen ist in Swanks Verkörperung nichts mehr zu spüren. Es bleiben – mit Hosenanzügen und Bubikopf – die optische Ähnlichkeit, aber außer einem nervigen Dauerlächeln kann die Oscarpreisträgerin der Figur mimisch nicht mehr spannende Wesenszüge entlocken. Immerhin ist Swank hier in (un)guter Gesellschaft, denn auch Gere bleibt wieder einmal auf den milde lächelnden Gigolo-Typus festgelegt. Ein aalglatter McGregor kann in seinen dramaturgisch unbeholfen eingeflochtenen Miniauftritten überhaupt keine Funken schlagen. Schlimmer noch: Die Figur wirkt überflüssig und die historisch fragwürdige Dreiecksliebesbeziehung ist eher ein Zeitfresser, denn ein inhaltlich relevanter Faktor.

Amelia verkommt auf Grund dieser Faktoren mitunter zu einer langsam dahinplätschernden Soap-Opera. Die vielen, immerhin ästhetisch ansprechenden Flugszenen sind ohne Gefühl für Suspense und Stringenz inszeniert. Deswegen schleppt sich das Drama ereignislos bis zum tragischen Finale, das den Zuschauer eigentlich emotional packen müsste, ihn aber eher kalt lässt. Neben den Mängeln in der Figurenzeichnung und im Handlungsaufbau gibt es filmtechnisch wenig auszusetzen. Die Epoche der 20er und 30er Jahre wird akkurat rekonstruiert, die aufwendigen Kostüme sind stimmig und die Bildsprache bleibt zumeist angenehm unaufgeregt. Gabriel Yareds sentimentaler Score erinnert allerdings in einigen Passagen an seine oscarprämierte Arbeit für Der englische Patient.

Amelia Earharts Leistungen für die Luftfahrt und die Frauenbewegung in den USA sind bis heute unvergessen. Deswegen ist es umso bedauerlicher, dass es Mira Nair und Hilary Swank in Amelia nicht gelungen ist, daraus ein packendes filmisches Porträt zu machen. Vielleicht hätte man Amelias Jugendzeit und ihre Kämpfe mit abenteuerlichen Vorurteilen mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. So bleibt das oberflächliche Biopic eine verpasste Chance.

Amelia

Man nehme eine anerkannte Regisseurin, ein stargespicktes Schauspielerensemble, einen renommierten Drehbuchautoren und gebe noch eine packende Lebensgeschichte hinzu. Aus diesen Zutaten entstehen Oscarpreisträger wie beispielsweise „A Beautiful Mind“.
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