Alois Nebel

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Destination unbekannt

Gut 45 Jahre trennen die beide historischen Ereignisse (die Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer alten Heimat und der Fall der Mauer), die diesen Film zusammenhalten – beinahe ein Menschenleben also. Dies ist durchaus nicht nur metaphorisch zu verstehen, sondern in diesem Fall ganz konkret: Das Leben jener Person, die diese beiden Ereignisse als dramaturgische Klammer in sich vereint, ist das der titelgebenden Hauptfigur Alois Nebel. Der leistet als Fahrdienstleiter seinen Dienst an der kleinen Bahnstation Bílý Potok an der tschechoslowakisch-polnischen Grenze und beschäftigt sich lieber mit alten Dienstplänen und Routenbüchern als mit den Menschen in seiner Umgebung. Weil seinem Namen aber auch etwas Unheilvolles anhaftet und weil dieser Mensch Zeuge eines Unrechts war, das er verdrängt hat, ist es just jener Nebel des Erinnerns, der ihn immer wieder mit Bildern aus der Vergangenheit bedrängt. Und dann taucht da noch in einer stürmischen Herbstnacht des Jahres 1989 jener stumme Fremde auf, der Rache nehmen will. Unversehens gerät der ebenso schweigsame und zurückgezogene Alois Nebel in den Strudel der Ereignisse, die er als Kind mit ansehen musste – es ist eine Reise in das Reich des schmerzhaften Erinnerns, die er exemplarisch für ein ganzes Volk auf sich nehmen muss und an dessen Ende beinahe so etwas wie ein Happy End stehen wird.
Trotz der Reduzierung dieses animierten tschechischen Spielfilms, der die Geschichte in schwarzweißen, weitgehend flächig eingesetzten Bildern erzählt, ist Tomáš Luňáks für zwei Oscars nominiertes Werk ein überaus komplexes. Was vor allem daran liegt, dass die Story eine profunde Kenntnis der Geschichte der Tschechoslowakei seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stillschweigend voraussetzt bzw. die historischen Fakten, auf die der Film rekurriert, nicht näher erläutert. Doch auch wer nicht firm ist in diesen Daten und Fakten, kann sich dem Bann dieses schlüssig und spannend inszenierten und animierten Filmes nicht entziehen. Aufgebaut wie ein klassischer Film noir kombiniert Alois Nebel Atmosphäre, Stil und Anliegen zu einem Gesamtkunstwerk, das durchaus in der gleichen Liga spielt wie Waltz with Bashir und andere Filme aus dem Bereich des animierten Films fernab von Hollywoods Reduzierung auf bloßes family entertainment.

Alois Nebel ist nach dem Rotoskopie-Verfahren realisiert worden, was bedeutet, dass Szenen auf Filmmaterial gedreht und erst später durch Animationen verfremdet wurden. Bekannt wurde dieses Verfahren vor allem durch Richard Linklaters Waking Life. Im Falle von Alois Nebel ist das Ergebnis verblüffend: Der Unterschied zwischen der beinahe expressionistisch anmutenden Bildlichkeit, die ebenso an Werke des Film noir wie an Linolschnitte denken lässt, zu den natürlich fließenden Bewegungen der Figuren ist frappant und erweckt tatsächlich den Anschein, als sei hier die Vorlage Jaromír Svejdík alias Jaromir 99, der auch als Co-Autor bei der Entstehung des Filmes mitwirkte, zum Leben erwacht.

In Deutschland ist die Graphic Novel vor kurzem erst im Verlag Voland & Quist erschienen — umso schöner, dass diese zu neuem Leben erwachte Filmversion nun doch noch den weg in die deutschen Kinos findet.

Alois Nebel

Gut 45 Jahre trennen die beide historischen Ereignisse (die Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer alten Heimat und der Fall der Mauer), die diesen Film zusammenhalten – beinahe ein Menschenleben also. Dies ist durchaus nicht nur metaphorisch zu verstehen, sondern in diesem Fall ganz konkret: Das Leben jener Person, die diese beiden Ereignisse als dramaturgische Klammer in sich vereint, ist das der titelgebenden Hauptfigur Alois Nebel.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen