Alles wird gut (2012)

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

"Sei mehr Spastiker!"

Der deutsche Regisseur Niko von Glasgow ist der einzige kurzarmige Regisseur Deutschlands. Damit ist der Contergangeschädigte ebenso „behindert“ wie viele seiner Protagonisten in Alles wird gut. Der Dokumentarfilm begleitet eine Theaterinszenierung, die – ähnlich wie das Theater RambaZamba  — behinderte und nicht-behinderte Schauspieler und Laien zusammenbringt. Unter der Leitung von Niko von Glasow bringen sie ein Stück auf die Bühne, das zu großen Teilen ihre eigene Lebensrealität widerspiegelt.
Ursprünglich war Niko von Glasow lediglich für eine Theaterinszenierung engagiert – ein unbekanntes Terrain für den Filmemacher. Ebenso wie das Theaterstück selbst, entstand auch die Idee, einen Film zu machen, während des Arbeitsprozesses mit den Schauspielern. In Interviews mit den Darstellern erfragte er ihre persönlichen Sehnsüchte, Ängste und Probleme und entwickelte daraus eine Geschichte, die im Rahmen einer Theateraufführung einem Publikum präsentiert wurde. Die Handlung dreht sich um eine Casting-Show, bei der sich auch behinderte Künstler bewerben. Diese werden jedoch in einen speziellen Warteraum abgeschoben und dort vergessen. Während der stundenlangen Isolation entspinnen sich Konflikte ebenso wie Liebesbeziehungen.

Der Film begleitet das Ensemble vom ersten Vorsprechen bis zur Aufführung. Der Kinozuschauer kann beobachten, wie die Darsteller ihr Stück aus der Improvisation entwickeln und hat auch Gelegenheit, von Glasow bei seinen sehr persönlichen Interviews über die Schulter zu blicken. Einblicke in einen theaterpädagogischen Prozess gibt es jedoch nur wenige. Der Schwerpunkt liegt hier klar auf der Inszenierung des Theaterstückes, das den Höhepunkt des Projekts und auch des Films bildet.

Der biographische Ansatz, den Niko von Glasow für sein Theaterstück und somit im Grunde auch für seinen Film wählt, ist durchaus kritisch zu betrachten. Die Grenzen zwischen Privatperson und Rolle verschwimmen. Nicht nur, dass der Regisseur die persönlichen Schwächen der Darsteller in seinem Stück inszeniert, die Schauspieler können sich auch nicht durch eine fremde Identität von ihrer eigenen Geschichte distanzieren, sondern tragen auf der Bühne ihre eigenen Namen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Mitwirkenden immer wieder unter dem seelischen Druck zusammenbrechen. Teilweise äußern die Darsteller Kritik an der Arbeit des Regisseurs. Von Glasow jedoch beharrt auf seiner Vorgehensweise und weicht von seinem Konzept nicht den kleinsten Schritt zurück. Aus den Filmaufzeichnungen wird nicht deutlich, inwiefern dieser kritische Prozess durch einen Therapeuten oder Theaterpädagogen begleitet wurde, so dass die Verantwortung für das seelische Wohl der Schauspieler scheinbar alleinig bei Niko von Glasow liegt, der die Ausmaße dieser Aufgabe nicht vollends zu erfassen scheint.

Die Vermischung von Privatperson und Bühnenrolle hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Protagonisten, sondern auch auf den Kinozuschauer. Auch diesem fällt es schwer, Improvisationen von realen Gesprächen zu unterscheiden. Nicht immer ist klar, welche Interaktionen der Figuren auf der Leinwand Teil der Theaterprobe und welche dokumentarisch abgefilmte, reale Auseinandersetzungen darstellen. Auch wenn diese Ambivalenz von Niko von Glasow mit Sicherheit beabsichtigt ist, erschwert sie es, die Menschen hinter ihren Rollen nicht aus den Augen zu verlieren. In den einleitenden Interviews führt von Glasow seine Protagonisten auf eine sehr intime Art und Weise in den Film ein. Mehr und mehr treten diese realen Figuren jedoch hinter ihren Rollen zurück, die nicht mehr den Menschen selbst, sondern der Idee des Filmemachers entsprechen. Somit verliert auch der Zuschauer in gewisser Weise den Kontakt zu den Protagonisten und ihrer realen Geschichte.

Zudem wirft die Herangehensweise von Glasows die Frage auf, wie viel Inszenierung in diesem dokumentarischen Konzept vorhanden ist. Zwar fungiert die Kamera stets als Beobachter des Probenprozesses, doch ist der Einfluss des Filmemachers auf die Ereignisse zu stark, um nicht von einer Inszenierung zu sprechen. Es ist vor allem der ungefilterten Arbeit mit biographischem Material zuzuschreiben, dass die Schauspieler immer wieder an ihre emotionalen Grenzen geraten, dass es zu Zusammenbrüchen und wütenden Auseinandersetzungen kommt. Es ist schwierig zu beurteilen, inwiefern hier von natürlichen Prozessen oder Provokation durch den Filmemacher gesprochen werden kann.

Alles wird gut ist in erster Linie ein Film für Kinozuschauer, die ein Grundinteresse an der Theaterarbeit mit Behinderten mitbringen. Die abwechslungsreiche Montage des Materials – Aufnahmen der Proben, Interviews, Feedbackrunden – und der Humor, den das Theaterstück selbst entfaltet, können jedoch auch ein themenfremdes Publikum ansprechen. Echte Einblicke in theaterpädagogische Prozesse gibt es jedoch nicht. Wohl aber kann Niko von Glasows Dokumentation dazu dienen, über die Anwendbarkeit und Grenzen biographischen Theaters zu diskutieren.

Alles wird gut (2012)

Der deutsche Regisseur Niko von Glasow ist der einzige kurzarmige Regisseur Deutschlands. Damit ist der Contergangeschädigte ebenso „behindert“ wie viele seiner Protagonisten in „Alles wird gut“. Der Dokumentarfilm begleitet eine Theaterinszenierung, die – ähnlich wie das Theater RambaZamba  — behinderte und nicht-behinderte Schauspieler und Laien zusammenbringt.
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