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In „Albträumer“ schildert Philipp Klinger, wie eine Familie in der Schwarzwälder Provinz mit dem Suizid eines jungen Mannes umzugehen versucht.

Albträumer (2020)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Das Leben nach dem Tod

Von Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973) über Drei Farben: Blau (1993) bis hin zu Rabbit Hole (2010). Schon viele Filme haben sich mit dem Thema Verlust und Trauer beschäftigt. Mal liegt der Fokus auf dem unmittelbaren Schock nach dem Tod eines geliebten Menschen, mal wird in erster Linie der Prozess der Bewältigung beleuchtet. Und stets geht es um die Frage: Welche Bilder lassen sich für den empfundenen Schmerz finden – und für die Lücke, die die verstorbene Person im Leben der Trauernden hinterlässt?

In Philipp Klingers Langfilm-Regiedebüt Albträumer jährt sich der Todestag des Jugendlichen Dennis (Andreas Warmbrunn) bereits zum zweiten Mal. Doch weder Dennis’ Eltern Michael (Stephan Szasz) und Christine (Birge Schade) noch seine inzwischen 17-jährige Schwester Rebekka (Sarah Mahita) haben es bisher geschafft, ihr Leben wieder aufzunehmen. Dennis hat Suizid begangen. Mit den Hintergründen will sich die Familie nicht auseinandersetzen. Vielmehr scheint es wichtig zu sein, nach außen hin gefasst zu wirken. „Die Leuten reden schon genug“, sagt der Vater an einer Stelle.

Es gelingt dem von Simon Thummet verfassten und von Klinger bearbeiteten Drehbuch sowie der Inszenierung, die Atmosphäre in einer Dorfgemeinschaft treffend einzufangen, ohne dabei die Umgebung zu dämonisieren. Der kleine Ort im Schwarzwald ist kein Hotspot des Bösen – doch er nimmt insbesondere Rebekka die Luft zum Atmen. Hauptdarstellerin Sarah Mahita lässt uns das innere Beben spüren, dass es der Schülerin Rebekka unmöglich macht, einen unbeschwerten Moment zu erleben, sei es mit ihrem Freund Sebastian (Gustav Schmidt) oder mit ihrer besten Freundin Melanie (Valerie Stoll). Jeder Augenblick scheint ein Kampf, jede Bewegung, jedes Wort kostet Überwindung. Mahita liefert eine sehr feinsinnige Leistung, durch die es gar nicht nötig ist, dass Rebekka all ihre Empfindungen ausspricht. Die Eltern wollen an Dennis’ Todestag „einen guten Tag haben“, sie wollen „in Ruhe trauern“ – und merken nicht, wie sehr die eigene Tochter in diesem Haushalt der heruntergedimmten Gefühle leidet.

Und dann taucht Vincent (Béla Gabor Lenz) wieder auf. Er war Dennis’ bester Kumpel. Oder war er mehr als das? Waren die beiden Jungs ein Paar? In jedem Fall war Vincent zum Zeitpunkt von Dennis’ Tod bei ihm. Und für Rebekkas Eltern ist er der Schuldige. Vincent bleibt in Albträumer eine überaus ambivalente Figur. Hat er Dennis in den seelischen Abgrund gezogen? Und wird er nun das Gleiche mit Rebekka tun, die seine Nähe zu suchen beginnt? Der Film changiert auf interessante Weise zwischen Drama und potenziellem Mysterythriller. Der Kameramann Adrian Langenbach setzt häufig auf düstere Aufnahmen; hinzu kommen die Songs der Death-Metal-Band Disbelief, die Einblick in Vincents und Dennis’ Gefühlswelt geben.

Ein paar Situationen in Albträumer muten allzu zugespitzt an – etwa wenn Rebekkas Eltern eine große Geburtstagsfeier für ihre Tochter organisieren, auf der diese sich zunächst völlig teilnahmslos, beinahe wie eine Schlafwandelnde bewegt. Stark ist jedoch, wie der Film die Angst der Hinterbliebenen vermittelt, den Verstorbenen womöglich gar nicht gekannt zu haben. Kann uns ein Mensch, den wir lieben, wirklich so fremd sein? Und können wir ihn durch das, was er hinterlässt – wie in Dennis’ Fall zum Beispiel Zeichnungen und Briefe – doch noch besser kennenlernen? Lässt sich der Freitod eines Menschen jemals verstehen? Albträumer liefert darauf keine finalen Antworten. Aber das muss er auch nicht. Er stellt die richtigen Fragen – das ist das Entscheidende.

Albträumer (2020)

Rebekka ist 17 und lebt in einem Dorf, in dem die Welt noch in Ordnung ist. Doch seit dem Selbstmord ihres Bruders fühlt sie eine tiefe Leere. Bei Vincent, dem besten Freund ihres Bruders, findet sie endlich die Möglichkeit, zu ihrem Schmerz Zugang zu finden. Obwohl die Eltern es nicht wollen, entwickelt sich zwischen Rebekka und Vincent eine Liebesgeschichte, die für beide sowohl heilsam als auch zerstörerisch ist. Doch die Lage eskaliert zusehends und Rebekka muss ausbrechen, um wieder zu sich selbst zu finden.

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