Log Line

Ein Film in vier Kapiteln, ein Film als Reigen, als Film über das Kajakfahren kreisum auf den Mecklenburgischen Seen, wo Kerstin das Vergangene hinter sich lassen will, ihr Bruder Anschluss ans Vergangene finden will und Amina die Zukunft sucht.

Alaska (2022)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Auf dem Wasser

Langsame Erzählweise, lange Einstellungen auf Gesichter, detailliertes Zeigen von Alltäglichem wie Gehen oder Autofahren: Wenn ein Film seine Bilder, sich selbst so sehr mit Bedeutung auflädt, wird Tiefe suggeriert, und den Protagonisten wird inneres Leben, schweres Denken zugeschoben. Der Protagonist weiß, worum es geht, der Regisseur auch, dem Zuschauer aber wird dieses Wissen vorenthalten. Das kann die Nähe zur Filmfigur steigern, birgt aber auch die Gefahr, auf einfache, geradezu billige Weise emotionale Spannung zu generieren, die nur auf formalen Sperenzchen beruht, nicht auf tatsächlichem Gehalt des Films.

Alaska beginnt ungefähr so wie beschrieben. Wir sehen eine Frau – erst viel später erfahren wir ihren Namen Kerstin (Christina Große) – an einer ausgebrannten Feuerstelle auf einer Wiese, wie sie in einen alten Kombi steigt mit langem Kajak auf dem Dach. Wie sie beim Fahren alte 90er-Musik mitsingt, wie sie das Kajak herunterhievt, ins Wasser lässt, ein bisschen Gepäck mitnimmt, abstößt, wie sie losfährt auf den Mecklenburgischen Seen. Natur, Wasser, paddeln. Doch was so langsam beginnt, was so sehr aussieht wie ein typisches Charakterdrama, das führt Regisseur Max Gleschinski über, und das nicht nur in ein Charakterporträt, nicht nur in einen Selbstfindungs-Trip, sondern auch in magisches Mysterium. Spätestens wenn durch Herunterzählen von drei auf null der Regen endet.

Gleschinski erzählt in vier halbstündigen Kapiteln, eine Art Reigen von Filmfigur zu Filmfigur. Wir folgen Kerstin, die verschlossen, in sich geschlossen auf den Seen im Kreis fährt, sie in einem Zweierkajak, aber nicht allein. Immer wieder begegnet sie denselben Wasserwanderern – und wird abends angesprochen von Alima (Pegah Ferydoni). Die ist offen für andere, genervt von ihrem doofen Mitfahrer, das Paddeln übt sie eigentlich nur aus, weil sie bei ihrer Gruppe ist. Sie lacht gerne, sie blitzt Kerstin an, und Kerstin öffnet sich. Erzählt von früher, von ihrem Vater, bei dem sie 20 Jahre gelebt hat, bis vor zwei Wochen. Alima erzählt von sich – nichts. 

Kerstin hat die Gabe, zu verschwinden. Aus einer geschlossenen Toilette, durch Untertauchen im Wasser. Eine Kröte, die mal bei Kerstin im Zelt zu sehen war, ist der symbolträchtige Staffelstab rüber zu Alimas Geschichte, die eben doch etwas mit sich schleppt, das sie vor sich selbst verleugnet. Erinnerungs-Flashes beenden das vielversprechende Vorspiel beim One Night Stand mit einer Zufallsbekanntschaft… 

Kerstin wird verfolgt. Ein junger Bursche hat sie gesehen, ruft seine Eltern herbei. Thomas (Karsten Antonio Mielke), dem Tischler, ist das dritte Kapitel gewidmet. Langsam schält sich heraus, was das Innere der Protagonisten aufwühlt, gleichzeitig ist eine große Verbundenheit, eine gemeinsame Vergangenheit zu spüren zwischen Thomas und seiner Schwester Kerstin, die er jahrelang ignoriert hat. Auch Thomas ist ein Getriebener, getrieben von sich selbst, aber auch von seiner Frau, die mit ihm durch die Mecklenburger Seenplatte fährt. In der Ehe knirscht es gewaltig, das ist in kleinen, feinen Details erzählt. Es geht um Geld — worum sonst? -, aber auch darum, wie man umgeht mit der Vergangenheit, mit dem Andenken an den verstorbenen Vater, der Kajak-Olympionike war (behauptet Kerstin), der einen Aal mit bloßen Händen gefangen hat (behauptet Thomas).

Die Seen von Mecklenburg erscheinen mehr und mehr als magische Orte, als heilende Orte, wo man sich selbst wiederfinden kann, wo man Vergangenes annehmen kann und hinter sich lassen. Wo das Wasser im Kreis zu fließen scheint, wo es gelingt, poetisches, elegisches Filmemachen jenseits von inzwischen standardisierten Personendramen zu erschaffen.

Alaska (2022)

In ihrem roten Kajak flieht Kerstin vor der Auseinandersetzung mit dem Tod ihres Vaters. Ziellos gleitet sie, zwischen Tourismus und Tristesse, tagelang über das Wasser, bemüht, allein zu bleiben – bis sie Alima begegnet. Die Frauen nähern sich an und setzen ihren Weg gemeinsam fort. Aber als Kerstins Bruder Thomas auch an der Seenplatte ankommt und sie zur Rede stellt, müssen sich alle mit den Geistern ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. (Quelle: Filmfestival Max Ophüls Preis 2023)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Hanne · 22.09.2023

Weitgehend Längen.Langweilig.