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In seinem zweiten Langfilm „After Yang“ setzt Kogonada seinen ruhigen und gefühlsbetonten Erzählstil in einem Science-Fiction-Setting fort.

After Yang (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Im Inneren der Erinnerung

Mit dem Drama „Columbus“ (2017) lieferte der in Seoul geborene und in den USA aufgewachsene Filmemacher Kogonada einen behutsam erzählten Film über eine platonische Liebe (oder vielleicht auch mehr), die in Unterhaltungen entsteht, beim gemeinsamen Umherdriften in der titelgebenden Stadt. Die beiden Hauptfiguren Casey (Haley Lu Richardson) und Jin (John Cho) verbindet, dass sie irgendwie an einen Elternteil gebunden sind: Casey an ihre Mutter, die versucht, clean zu bleiben; Jin an seinen Vater, der im Koma liegt.

In seinem neuen Werk After Yang wendet sich Kogonada nun, basierend auf der Kurzgeschichte Saying Goodbye to Yang von Alexander Weinstein aus der 2016 publizierten Kurzgeschichtensammlung Children of the New World, dem Science-Fiction-Genre zu und bleibt seinem vorsichtig-zarten Ton dabei absolut treu.

Im Mittelpunkt des Plots steht das Ehepaar Jake (Colin Farrell) und Kyra (Jodie Turner-Smith). Die beiden leben mit ihrer kleinen, aus China stammenden Adoptivtochter Mika (Malea Emma Tjandrawidjaja) in einem schicken Haus im Mid-Century-Modern-Stil mit japanischer Einrichtung – und haben einen Androiden namens Yang (Justin H. Min), der wie ein chinesischer Teenager aussieht und von der Familie wie ein weiteres Adoptivkind beziehungsweise wie ein großer Bruder behandelt wird.

Bereits die Titelsequenz des Films ist außergewöhnlich. Darin sehen wir Jake, Kyra, Mika und Yang vor wildem Farbhintergrund in nahezu perfekter Synchronität eine Choreografie zu einer Up-Tempo-Nummer aufführen – offenbar im virtuellen Wettbewerb mit vielen anderen Gruppen. Als Yang die tänzerischen Bewegungen auch nach Beendung des Spiels fortsetzt, wird klar, dass der humanoide Roboter defekt ist.

Wir erfahren, dass Jake und Kyra ihn gebraucht erworben haben und seine Garantie inzwischen abgelaufen ist. Um der Tochter den Bruder wieder zurückbringen zu können, bemühen sich die Eltern daraufhin, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen. Der Handwerker Russ (Ritchie Coster) kann den Speicher aus Yangs Brust entfernen. Und die technische Expertin Cleo (Sarita Choudhury) bietet Jake über eine VR-Brille Zugang zu Yangs „Erinnerungen“. In diesen Fragmenten taucht eine junge Frau (abermals Haley Lu Richardson) auf, die Yang kannte, ehe er zur Familie stieß.

Die Vorstellung, gewissermaßen in die Erinnerung einer Person einzutauchen, hat etwas überaus Faszinierendes. Durch den Einblick in Yangs Speicher lernt Jake seinen künstlichen Adoptivsohn noch einmal ganz neu und anders kennen. Er sieht ein Vorleben, von dem er nichts wusste, und ihm werden Erinnerungsstücke aus der Zeit gezeigt, die Yang bereits im Haus der Familie erlebte. Dabei arbeitet Kogonada unter anderem mit kurzen Wiederholungen und mit Überlappungen auf der Audioebene. Das lässt unweigerlich an unsere eigenen Mechanismen des Erinnerns denken. Woran erinnern wir uns? Beziehungsweise: Woran wollen wir uns erinnern? Wie sehr beeinflusst unsere Perspektive das Erinnerte? Und was macht eine Erinnerung letztlich mit und aus uns?

Ebenso eindrücklich ist das Worldbuilding in After Yang. Es gibt selbstfahrende Transportmittel, neue Arten der Kommunikation, einen besonderen Kleidungsstil und diverse weitere Fortschritte der (Gen-)Technik. Und doch fangen der Regisseur und sein Kameramann Benjamin Loeb dies alles sehr zurückhaltend ein. Der Kosmos, in dem sich die Figuren bewegen, kombiniert warme Farben mit einer äußerst steril anmutenden Umgebung. Dem dystopischen Ansatz vieler Genre-Erzählungen wird eine melancholische, recht unaufgeregte Grundstimmung entgegengesetzt. Wenn der als Teehändler tätige Jake, den Farrell angenehm sensibel verkörpert, mit Yang über seine Leidenschaft für Tee spricht oder wenn Mika ihren Vater in Tränen aufgelöst vorfindet, erzeugt der Film zwischen seinen Figuren eine Nähe und Vertrautheit, die uns diese Welt ganz intensiv miterleben lässt.

After Yang (2021)

In einer Welt, in der Roboter als Babysitter eingesetzt werden, versuchen Vater und Tochter das Leben ihres Roboterfamilienmitglieds Yang zu retten, das nicht mehr reagiert

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