Log Line

Robert Oppenheimer, den Vater der Atombombe, kennt jeder. Stanisław Ulam hingegen nur wenige. Ein Biopic zeigt jetzt, welche Rolle der Mathematiker im Manhattan-Projekt gespielt hat.

Abenteuer eines Mathematikers (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Der Dickschädel, die Bombe und eine Prise Ironie

Thor Klein hat das Leben eines Mathematikers verfilmt, den die Geschichtsschreibung gern übersieht. Im Zentrum seines Biopics steht der Konflikt zwischen Machbarkeit und Moral, was angesichts der Weltlage aktueller nicht sein könnte. Der Filmtitel lockt jedoch in die Irre.

Stan Ulam (Philippe Tłokiński) ist ein brillanter Kopf, aber nicht verkopft. Seinen besten Freund Johnny (Fabian Kociecki) hält er mit Witzen bei Laune, seine Studenten an der Harvard-Universität mit Glückspiel. Anhand der Anzahl schwarzer und roter Karten in einem Deck bringt er ihnen die Wahrscheinlichkeitsrechnung näher. Die beherrscht der Mathematiker so gut, dass er seine Kollegen beim allabendlichen Spiel reihenweise ausnimmt.

Ulam zählt zu einer Clique aus Wissenschaftlern, die Europa den Rücken kehren mussten. Als Stanisław Marcin Ulam 1909 in Lemberg in eine polnisch-jüdische Familie geboren, folgte er bereits 1938, also noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, einem Ruf an die renommierte Ostküsten-Universität. Zu Beginn von Kleins Film steht Hitlers Armee bereits in Polen und Ulam versucht nach seinem jüngeren Bruder Adam (Mateusz Wieclawek) auch den Rest seiner Familie in die USA zu schaffen. Dann tut sich eine berufliche Möglichkeit auf, die Ulam nicht abschlagen kann.

Gemeinsam mit Johnny, hinter dem kein Geringerer als der aus Österreich-Ungarn stammende Mathematiker John von Neumann steckt, wird Ulam Teil des Manhattan-Projekts. Er lässt seinen Bruder zurück und zieht mit seiner soeben angetrauten Frau Françoise (Esther Garrel), die er mehr aus Pragmatismus als aus Liebe geheiratet hat, nach Los Alamos. Dort, in der Wüste New Mexicos, basteln viele kluge Köpfe an der Atombombe. Ulams Boss Edward Teller (Joel Basman), als Ede Teller 1908 in Budapest geboren, geht noch einen Schritt weiter. Um das Wettrüsten mit den Sowjets zu gewinnen, will er auf Teufel komm raus die Wasserstoffbombe. Ulam hält das weder für machbar noch für sinnvoll und macht lieber seine Witze, was Teller selbstredend überhaupt nicht lustig findet.

„Ich schätze, es gibt Raum für Ironie in der Quantenwelt“, sagt Stan Ulam an einer Stelle. Seinen Humor lässt er sich auch im Angesicht des Krieges nicht nehmen, was Kleins Film angesichts der Schwere der Thematik zu einem erstaunlich leichten Biopic macht. Etwas mehr Drama beziehungsweise Dramaturgie hätte es dann aber schon sein dürfen. Der in Kaiserslautern geborene Regisseur, der seinen ersten Film Lost Place (2013) noch unter seinem Geburtsnamen Thorsten Klein realisierte, hat zwar akribisch auf Details geachtet. Die Sets sehen überzeugend aus, die Kostüme sitzen. Bis auf seinen Protagonisten fehlt es seinen Figuren jedoch an Kontur. Und sein Drehbuch hat kaum Spannungsmomente, was zum einen an der elliptischen Erzählweise und zum anderen daran liegt, dass sich Klein für Ulams Arbeit nur am Rande interessiert.

Historische Höhepunkt wie der erste Atombombentest oder die Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki spart der Film aus oder erzählt sie nur als Mauerschau. Auch sieht man die Wissenschaftler nie über mathematischen und physikalischen Formeln brüten. Ein Gefühl der Dringlichkeit im Wettrennen um die Bombe stellt sich beim Kinopublikum nie ein. Stattdessen diskutieren Ulam, von Neumann und ihre Kollegen Jack Calkin (Sam Keeley) und Klaus Fuchs (Sabin Tambrea) den moralischen Aspekt ihrer Arbeit. Doch selbst diesen Szenen mangelt die Durchschlagskraft – trotz aller Bezüge zu unserer Gegenwart.

Die moralische Zwickmühle, in der Ulam & Co. stecken, wirkt stets mehr behauptet, als dass man sie den Figuren abkauft. Warum Ulam trotz aller Bedenken letzten Endes dann doch die Lösung für die Wasserstoffbombe liefert, erschließt sich ebenso wenig. Und als er an einer Hirnhautentzündung erkrankt und sie diesem Dickschädel ein Loch in seinen Schädel bohren müssen, dass seine weitere Karriere gefährdet, gerät auch der bis dahin wunderbar aufgelegte und das Ensemble dominierende Philippe Tłokiński an seine Grenzen.

Kleins Drama basiert auf Ulams gleichnamiger Autobiografie aus dem Jahr 1976. Konsequent aus seiner Sicht erzählt, tauchen Größen wie Robert Oppenheimer (Ryan Gage) nur am Rande auf. Letztlich will der Filmemacher aber zu viel. Seine Handlung deckt einen zu langen Zeitraum und so viele Themenkomplexe ab, dass die spannendsten davon an den Rand gedrängt werden. So abenteuerlich der Lebensweg des Protagonisten aus heutiger Sicht auch erscheinen mag, Klein überträgt ihn wenig abenteuerlich auf die große Leinwand. Dieses Biopic ist eine ausgesprochen nüchterne Angelegenheit.

Abenteuer eines Mathematikers (2020)

Moralische Zwickmühle im Exil: der polnische Mathematiker Stanisław M. Ulam ging 1938 als Harvard Junior Fellow in die USA. Aus der Ferne erlebt er den deutschen Einmarsch in Polen mit, in der neuen Heimat hilft er, die Wasserstoffbombe zu entwickeln. Für den Wissenschaftler stellt sich die Frage nach der moralischen Verantwortung in mehrfacher Hinsicht. (Quelle: Filmfestival Cottbus 2020)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen