Abus de faiblesse

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Der unbarmherzige Blick auf das eigene Ich

Isabelle Huppert ist eine unglaubliche Schauspielerin. Klar: Zum Einmaleins der Weltklassedarsteller gehört natürlich das Spielen einer Behinderung, wie in Abus de faiblesse, mit verkrampften Gliedmaßen und Lähmungserscheinungen. Das liefert sie völlig überzeugend ab – doch wirklich großartig ist sie in der Verkörperung von Gefühlen. Am Strand sitzt sie, erhält einen Telefonanruf, und ohne Schnitt steigen Tränen in ihre Augen. Sie blickt forschend, fordernd und zugleich hilfesuchend und schwach. Minimale Regungen in ihrem Gesicht spiegeln die widersprüchlichen Gefühle, die sich durchziehen, und man kann nicht analysieren, nicht hindeuten auf das, was genau ihre Kunst ausmacht.
Isabelle Huppert spielt Maud, Regisseurin, die nach einem Gehirnschlag ihren Körper nicht mehr benutzen kann. Und es ist klar: Hier lässt die Regisseurin Catherine Breillat sich selbst spielen, die selbst im Jahr 2004 einen Schlaganfall erlitten hat. Und die tatsächlich die Story, die sie in ihrem Film erzählt, selbst erlebt hat – man kann davon ausgehen, dass selbst Details stimmen…

Maud sieht den Betrüger Vilko in einer Talkshow und weiß: Ihn will sie als Hauptdarsteller in ihrem nächsten Film. Er ist charmant und brutal, liebevoll und gefährlich, das reizt sie. Mit ironischem Lachen geht sie souverän mit seinen Versuchen um, sie zu beeindrucken, ein Beutel mit 500.000 Euro in Scheinen ist ein Witz für sie, das er im großen SUV von einem Chauffeur umhergefahren wird, legt sie als Angeberei aus. Und doch unterschreibt sie einen Scheck, als er sie darum bittet. Und noch einen, und noch einen, und noch einen. Mal 50.000, mal 15.000, die Summen variieren, immer hat Vilko etwas vor oder steckt in der Klemme, aus der nur Maud ihm heraushelfen kann.

Vilko ist nicht sympathisch. Er kann gewalttätig werden, er kann herrisch auftreten. Aber er kann sich auch klein machen, auf selbstironische Art: Was ich alles für dich tue! Du machst mich zu deinem Sklaven! – sagt er, während er sie ausnimmt wie eine Weihnachtsgans. Mauds Leben gerät in einen merkwürdigen Rhythmus – geprägt einerseits vom Telefonbrummen, von dem sie als eine Art Running Gag stets aus dem Schlaf geweckt wird; und andererseits von den Schecks, die sie ausstellt.

Der Film wiederum spielt mit Zeitsprüngen, die man erst allmählich als solche wahrnimmt. Und die die lange Zeitspanne, in der sich Mauds Abhängigkeit von Vilko immer weiter vertieft, noch erschreckender illustrieren. An Details nur merkt man, dass wieder Wochen vergangen sind; dass Vilko immer noch da ist; dass sie immer noch Geld gibt. Und dass der geplante Film noch immer nicht gedreht wurde. Immer verzweifelter wird Maud. Und immer weniger kommt sie aus der Verstrickung heraus, in die sie sich begeben hat. Bis sie doch irgendwann den Mut findet, Vilko – und sich selbst – zu überwinden. Ein unbarmherziger Blick auf sich selbst ist dafür nötig; im Familienkreis gesteht sie es ein: 800.000, vielleicht nur 700.000 Euro hat sie hergegeben. Einfach so. Nicht im Zustand geistiger Umnachtung: „Ich wusste, was ich tat, aber das war unerheblich“, „das war ich, und das war nicht ich“, „ich habe mich daran gewöhnt“. Und, vor allem: Er war da. Da hat sie ihm geholfen.

Ein unbarmherziger Blick auf sich selbst: Das ist dieser Film auch für Catherine Breillat, die das Porträt einer Frau zeichnet, die sich ganz bewusst in Abhängigkeit begibt, die dabei unwillentlich auch das verrät, was sie ausmacht: Das starke Selbstbewusstsein, der souveräne Charakter löst sich ganz auf, wenn Vilko da ist und um einen Scheck bittet. Das muss äußerst bitter sein für die Persönlichkeit. Umso mehr Respekt gebietet es, dass Breillat diesen Film inszenierte, der sie selbst schonungslos und unverstellt zeigt.

Abus de faiblesse

Isabelle Huppert ist eine unglaubliche Schauspielerin. Klar: Zum Einmaleins der Weltklassedarsteller gehört natürlich das Spielen einer Behinderung, wie in „Abuse de faiblesse“, mit verkrampften Gliedmaßen und Lähmungserscheinungen. Das liefert sie völlig überzeugend ab – doch wirklich großartig ist sie in der Verkörperung von Gefühlen. Am Strand sitzt sie, erhält einen Telefonanruf, und ohne Schnitt steigen Tränen in ihre Augen.
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