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Eine in Russland lebende Finnin macht sich mit dem Zug auf quer durch Russland nach Murmansk, um dort uralte Felsenbilder aufzusuchen. Dank ungewöhnlicher Reisebekanntschaften wird dies eine denkwürdige Reise.

Abteil Nr.6 (2021)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ins Land der Petroglyphen

Eigentlich kam die junge Finnin Laura (Seidi Haarla) nach Moskau, um dort die Sprache zu lernen und anschließend Archäologie zu studieren, doch dann kam ihr die Liebe zu der Russin Irina dazwischen. Und über die hört sie zum ersten Mal von den Petroglyphen in Murmansk, uralten Felszeichnungen, die Zeugnis geben von einer früheren Kultur. Ursprünglich hatte Laura die Reise zusammen mit ihrer Geliebten unternehmen wollen, doch nun findet sie sich allein in einem Zug gen Osten wieder und hat zu ihrem Entsetzen eine überaus unerfreuliche Reisebegleitung in ihrem Abteil sitzen: Der kahlgeschorene, junge Ljoha (Yuriy Borisov) ist Minenarbeiter mit der Anmutung eines auf Krawall gebürsteten Hooligans, ein ziemlich tumber Typ und gleich bei der ersten Begegnung der beiden sturzbetrunken. Natürlich weiß er, der wirklich rein gar nichts weiß, alles besser, ist ignorant und ungehobelt und führt sich wie der — Verzeihung, aber es ist so — letzte Arsch auf. Und jeglicher Versuch, den Typen loszuwerden, scheitert an der absoluten Unwilligkeit des überaus unfreundlichen Zugpersonals, der jungen Frau aus ihrer Lage zu helfen. 

Irgendwann fügt sie sich ihrem Schicksal, immer wieder auf Erleichterung hoffend, wenn anderen Passagier*innen (insbesondere ein anderer Finne) ihren Weg kreuzen, doch stets verschwinden diese wieder. Nur Ljoha bleibt — ausgerechnet. Und so beginnt eine ungewöhnliche Freundschaft, ganz unerwartet, die Laura am Ende gegen alle Widrigkeiten doch zu den Petroglyphen bringt. Und daran ist vor allem Ljohas Hartnäckigkeit schuld. 

Compartment No.6 ist nicht nur ein Reisefilm, sondern vor allem ein Film über kulturelle Unterschiede und Annäherungen — und das bezieht sich keinesfalls nur auf die unterschiedlichen Nationalitäten von Laura und Ljoha, sondern vor allem auf die Unterschiede bezüglich der intellektuellen Interessen und auch der verschiedenen sozialen Klassen, aus denen die beiden stammen.

Das ist zwar insbesondere zu Beginn, wenn Juho Kuosmanen wie in The Happiest Day in the Life of Olli Mäki den jungen Russen in all seiner Tumbheit und lächerlichen Arroganz ein- und vorführt, ziemlich lustig, doch mit der Zeit laufen sich Ljuhos derbe Sprüche und sein bescheuertes Verhalten tot, und so ganz versteht man nicht, was die beiden über die eigentliche Reise hinaus zusammenhält. Dass Laura während der Reise eine Wandlung durchmacht, ist allein schon aufgrund der immer kühler werdenden Telefonate mit Irina leicht nachzuvollziehen, Ljoha allerdings scheint am Ende der Reise noch nahezu derselbe zu sein, der er vorher war — sieht man einmal von der ungeschickten finnischen Liebeserklärung ab, die er Laura am Ende zukommen lässt. Ob den beiden aber Gemeinsamkeiten vergönnt sind, die über die Reise hinaus fest und stabil bleiben, das erscheint zumindest ebenso fraglich wie die Feststellung, dass bei aller Sympathie des Regisseurs für seine Figuren die beiden schlichtweg überhaupt nicht zusammenpassen. 

Abteil Nr.6 (2021)

Compartment No 6 ist die Adaption des gleichnamigen finnischen Romans von Rosa Liksom, in dem eine junge Frau in den 1980er Jahren einem Liebesdreieck mit Hilfe der sibirischen Eisenbahn entflieht.

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