45 Years (2015)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Szenen einer Langzeitehe

Seit 45 Jahren sind sie nun schon ein Ehepaar: Kate (Charlotte Rampling) und Geoff (Tom Courtenay) wollen diesen Tag mit einer großen Party begehen, was auch damit zusammenhängt, dass der 40. Hochzeitstag überschattet war von der schweren Bypass-Operation Geoffs. Nun aber sind es nur noch wenige Tage, die geprägt sind von den Festvorbereitungen des kinderlosen Ehepaares. Dann aber erreicht die beiden ein Brief, der eine Wunde aus der Vergangenheit wieder aufbrechen lässt.

Das Schreiben stammt von den Schweizer Behörden, die Geoff mitteilen, dass der Leichnam seiner früheren großen Liebe Katya gefunden wurde — eingeschlossen im Eis eines Gletschers und über die Jahre quasi unbeschadet konserviert. Geoff und Katya hatten einst das Abenteuer gesucht und zu Fuß die Alpen überquert, um nach Italien zu gelangen, wo sie sich vielleicht niederlassen wollten. Und nun ist die bei einem Unfall ums Leben Gekommene plötzlich wieder da, drängt sich zwischen das Ehepaar, fordert Aufmerksamkeit, will nicht nur identifiziert werden, sondern auch aufgearbeitet. Denn offensichtlich hat Geoff niemals über den Verlust gesprochen und niemals die wahren Hintergründe seiner verlorenen Liebe gegenüber Kate gestanden. Nun aber setzt sich mit dem Schreiben eine Mechanik der Gefühle in Bewegung, die die Lebenslügen eines alternden Paares schonungslos auseinandernimmt.

Andrew Haighs Film ist nach den Wochentagen in sechs Kapitel eingeteilt — und nicht allein in dieser Konstruktion erinnert er in gewisser Weise an Ruben Östlunds Höhere Gewalt. Hier wie dort ist es ein vergleichsweise „kleiner“ Auslöser, der die Balance einer familiären bzw. beziehungsweise Beziehungskonstellation aus dem Gleichgewicht bringt, was man aber erst im Laufe des Filmes merkt. Beide Regisseure bauen auf wiederkehrende Momente (wie etwa im Falle Haighs den allmorgendlichen Spaziergang mit dem Hund), um die sich verschiebenden Routinen einer Konstellation spürbar werden zu lassen. Und in beiden Filmen schwebt über allem die Frage, ob dieses Paar, diese Beziehung am Ende überhaupt noch eine Zukunft haben kann.

Was 45 Years und Höhere Gewalt gleichfalls eint, ist das Gespür für die Wichtigkeit des Schauspiels, zudem ein exzellent gebautes Skript und eine Zurückhaltung in der Wahl der inszenatorischen Mittel, das die gebremsten Emotionen umso stärker hervortreten lässt. Vor allem Charlotte Rampling eine schauspielerische Offenbarung: Ob sie sich ein Glas Wasser einschenkt oder alte Dias betrachtet, die sie auf dem Dachboden findet und die eine neue Facette enthüllen, stets hat man das Gefühl, einem sehr präzisen beobachteten und erarbeiteten Drama beizuwohnen, bei dem sich alles am richtigen Platz und im richtigen Maß befindet. Und das ist schon verdammt viel.

(Festivalkritik Berlinale 2015 von Joachim Kurz)

45 Years (2015)

Seit 45 Jahren sind sie nun schon ein Ehepaar: Kate (Charlotte Rampling) und Geoff (Tom Courtenay) wollen diesen Tag mit einer großen Party begehen, was auch damit zusammenhängt, dass der 40. Hochzeitstag überschattet war von der schweren Bypass-Operation Geoffs. Nun aber sind es nur noch wenige Tage, die geprägt sind von den Festvorbereitungen des kinderlosen Ehepaares.

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Meinungen

Udo Bondroit · 18.10.2015

Meine Frau und ich sehen diesen Film als durchaus realistische Darstellung des Altagsleben an (wir sind beide 72 Jahre jung, also in ähnlichem Alter), auch wenn uns Geoff etwas zu trottelig erscheint und Kate zu emotional bewegt.
Diese übertriebene Emotionalität hat aber vielleicht einen bisher nicht erwähnten Grund:
Bei der Betrachtung alter Dias auf dem Speicher wird für Kate klar erkennbar, daß Katya, die verunglückte Freundin von Geoff damals schwanger war.
Das Ehepaar Geoff und Kate blieb aber kinderlos. Meistens ist es die Frau, die am stärksten darunter leidet, wenn der Wunsch nach Kinder nicht in Erfüllung geht. Und jetzt wird hier zusätzlich offenkundig, daß die Ursache der Kinderlosigkeit wohl bei Kate lag, was sie sicherlich zusätzlich stark belastet.
Da kann man dann nicht mehr erwarten, daß die Situation so gelassen hingenommen wird, wie man es in diesem Alter eigentlich erwarten könnte. da brechen eben alte Wunden wieder auf.

Braun · 14.10.2015

Ein realistischer Film. Man sollte nicht in der Vergangenheit wühlen, verzeihen und offen sollte man schon sein. Als Frau empfindet man es anders, als der Mann. Jeder hat seine Vergangenheit zu bewältigen.
Ein Film den jeder sehen sollte.

Nicole S. · 24.09.2015

Schließe mich der Rezension von Joachim Kurz an. Die beiden wirklich extrem guten Schauspieler und hier vor allem die schauspielerische Leistung auch in kleinsten Details von Charlotte Rampling verdienen dem Film das Prädikat besonders wertvoll. Obwohl es ein britischer Film ist, hat er mich an tiefgründige und inhaltsschwere französische Filme erinnert, war aber (doch dank des britischen Einflusses?) noch besser. Sehr gutes und schlüssiges Drehbuch und Dialoge fernab von amerikanischem Mainstream.
Es gibt am Ende viel zu interpretieren und es bleiben auch viele Fragen offen. Das mag ich eigentlich nicht, aber es passt hier, ist absolut schlüssig und unterstreicht umso mehr die vielschichtige Beziehung der beiden - auch nach oder gerade nach fast 45 Jahren. Es versteht sich von selbst, dass man hier schnelle cuts und eine laute Geräuschkulisse vergeblich sucht. Dieser Film macht in der allerersten Szene schon klar, welches Tempo gegangen wird, darauf muss man sich einlassen können. Wenn man es kann, wird man mit wirklich ausgezeichnetem Kino und vielen Gedanken für anregende Gespräche belohnt.

Hartmut T. · 14.09.2015

Ich sehe diesen Film nicht als einen, der "die Lebenslügen eines alternden Paares schonungslos auseinandernimmt." Als solcher funktioniert er nur, wenn man von der Prämisse ausgeht, dass Ehepartner alles über sich wissen sollten. Ich sehe dagegen das Portrait einer Frau, die es in ihrer Selbstbezogenheit nicht schafft, die Vergangenheit als geschehen und unveränderlich zu akzeptieren. Ansonsten ist der Kurzschen Rezension nichts hizuzufügen.