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Was sind mir meine Träume wert, was bin ich bereit aufzugeben, um sie zu verwirklichen? Der Film von Aelrun Goette lotet den Spagat zwischen Individualismus und gesellschaftlicher Anpassung aus, den ein 18-jähriges Mädchen in der DDR – kurz vor deren Ende – versucht.

In einem Land, das es nicht mehr gibt (2022)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Der Traum von Freiheit

„Glamourös, betörend, auserlesen“ – das ist der Mode-Underground in Ostberlin, eine subkulturelle Bewegung von jungen Menschen, die ihre eigene Mode machen. Sie nehmen Duschvorhänge, Folien und andere Materialien, die sie finden, und verwandeln sie in schillernde Kostüme und auffallende Looks. Die alternative Modeszene der DDR ist das Milieu, in dem der neue Film von Aelrun Goette spielt: In einem Land, das es nicht mehr gibt, und sie ist der Schauplatz, an dem Freiheit möglich ist.

Weil sie mit Orwells Buch 1984 in der Tasche erwischt wird, fliegt Suzie (Marlene Burow) kurz vor dem Abitur von der Schule. Aus sind der Traum vom Literaturstudium und dem Leben als Schriftstellerin. Nun soll sie nämlich in einem Kabelwerk zu einem funktionierenden Mitglied der Gemeinschaft erzogen werden und ihren Beitrag zur sozialistischen Gesellschaft leisten. Und dann kommt es noch einmal anders. Auf ihrem Weg zur Arbeit, wird Suzie unbemerkt fotografiert, ziert in der nächsten Ausgabe das Editorial der Modezeitschrift Sibylle und soll deren Gesicht werden.

Das ist die andere Welt, in die der Film Einblicke gewährt: Die Welt der offiziellen Mode der DDR, die in der Sibylle und auf Laufstegen in Leipzig präsentiert wird. Sie folgt bestimmten Regeln und dem Wunsch nach Konformität. Aber Suzie muss lernen, dass sie mehr benötigt als ein schönes Gesicht, gute Fotos und der gerade Gang auf High Heels, um in der Branche zu bestehen, und dass es noch mehr Einfallskraft, Mut und Willen braucht, um innerhalb des Konformismus ihre Freiheitsliebe auszuleben und ihren Weg zu finden.

In einem Land, das es nicht mehr gibt erzählt eine überzeugende Coming of Age-Geschichte: Suzie wird im Lauf der Ereignisse nicht nur zum Gesicht der Republik, zu einem Star des Ostens, sondern auch erwachsen und reifer, als sie es mit jedem Abitur geworden wäre, aber auch selbstbewusster und ein Stückchen freier.

Auf ihrem Weg helfen ihr Menschen wie Freigeist Rudi (Sabin Tambrea), Chefredakteurin Elsa Wilbrodt (Claudia Michelsen) oder Facharbeiterin Gisela (Jördis Triebel); andere wie Mannequin Uta (Sira Topic) dagegen legen ihr Steine in den Weg. Und dann ist da noch Fotograf Coyote (David Schütter), der sich nicht an die Regeln hält, aber immer die richtigen Momente abpasst, um auf den Auslöser zu drücken, und deshalb so faszinierende Bilder macht. Er hat jedoch ganz andere Pläne.

Aelrun Goette selbst wurde Ende der 80er Jahre auf einer Straße in Ostberlin als Model entdeckt und weiß, welche Geschichte sie erzählt. Das merkt man dem Film an, insbesondere der Figur der Suzie und deren Zweifeln, den Unsicherheiten und Fragen im Gesicht – überzeugend gespielt von Marlene Burow. Sie ist die Identifikationsfigur des Films, und man kann sich sehr gut in das 18-jährige Mädchen einfühlen, dass hin- und hergeworfen ist zwischen der eigenen Herkunft, den familiären Erwartungen und dem Verfolgen der eigenen Träume.

Darüber hinaus gewinnt der Film durch seine guten Milieustudien, eingefangen von Benedict Neuenfels: Die offizielle Modewelt bedient sich zwar vieler Klischees, wird dadurch aber auch für jüngere Zuschauer:innen greifbar. Im Milieu der Subkulturen würde man sich gerne noch ein wenig länger aufhalten und all die wunderbaren Details bewundern, die der Film präsentiert, allen voran die Kostüme von Regina Tiedeken.

In einem Land, das es nicht mehr gibt spielt im Jahr 1989, also kurz vor Ende der Deutschen Demokratischen Republik, und das nahe Ende ist schon spürbar, der Protest, der Wandel und die leidenschaftlich herbeigesehnte Freiheit lauern an jeder Ecke. Und genau das ist der Coup und führt das Festhalten an den Strukturen einer konformen Gesellschaft einmal mehr ad absurdum – zumindest für ein Publikum, das weiß, wie es weiterging im Herbst 1989.

In einem Land, das es nicht mehr gibt (2022)

Ostberlin, 1989: Kurz vor dem Abitur fliegt Suzie (Marlene Burow) von der Schule und muss sich im Kabelwerk Oberspree als Arbeiterin bewähren. Ein zufälliges Foto in der Straßenbahn früh um halb fünf öffnet ihr die Tür in die glamouröse Welt der Mode von VHB Exquisit. Sie landet auf dem Cover des Modejournals Sibylle, der ‚Vogue des Ostens‘, und Chefredakteurin Elsa Wilbrodt (Claudia Michelsen) eröffnet ihr so eine Chance, dem sozialistischen Fabrikalltag vielleicht doch noch zu entkommen. Suzie taucht ein in die schillernde Subkultur des Ostberliner Undergrounds, wo der schwule Rudi (Sabin Tambrea) und seine Freunde mit leidenschaftlicher Fantasie ihre eigene Mode aus Duschvorhängen und sonstigem verfügbaren Material erfinden. Sie verliebt sich in den rebellischen Fotografen Coyote (David Schütter), dessen Bilder alle verzaubern, aber trotzdem nicht gedruckt werden. Auf seiner ‚Indian‘ fliegen sie zusammen ans Meer, und Suzie erlebt die Freiheit, von der sie immer geträumt hat. Doch diese Freiheit hat ihren Preis: Was ist es Suzie wert, ihren Traum zu leben? (Quelle: Tobis Film)

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Meinungen

Rebekka Tiefert · 22.10.2022

Leider kann ich nur sagen: KITSCH!
Wenn der Film über Mode in der DDR informieren soll, gab es nichts Hintergründiges zu erfahren, was das DDR-spezifische in Ausbildung, Herstellung, Ökonomie, Materialbeschaffung usw. ausmachte.
Wie die politischen Schwierigkeiten in Form gezeigten Abiturausschlusses, Bewährung in der sozialistischen Produktion, wegen kleinster ‚Vergehen‘ bezüglich Beschäftigungen mit jeglichen Produkten des NSW ausgeartet sind, weiß mittlerweile der kleinste Organismus auf dem Mars! Ähnlich der Titanic-Schmonzette überdecken hier die Banalitäten der Liebestragödie und Gezicke von Manequins die Dramatik gesellschaftlicher Geschichte. Schade!
Außerdem war das Autobahnschild nicht kongruent derer ‚im Osten‘! - im Gegensatz zu der angestrengten Originaltreue der ostigen Vergammelung und originellen Buntheit.
Aber es war eine Freude, die junge Burow, Triebel, Schmidt und Tambrea in sensibler Aktion zu sehen.

Anette · 02.11.2022

Das ist kein Kinofilm, sondern eine Aneinanderrreihung von oberflächlich angerissenen Ideen, geschichtlichen Anspielungen, Drehstilen. Sehr enttäuschend. Manchmal absurd. Da ist quasi nichts richtig ausgearbeitet. Klingt alles unstimmig. Die Schauspieler wirken verloren. Man hat das Gefühl, dass sie sich im falschen Film fühlen. Schade.

Kirsten · 17.10.2022

Ein wunderschöner Film.
Authentisch und absolut an dem, was ich selbst erlebt habe.
Dialekt hin oder her, es kam auf den Inhalt an und der ist einfach hervorragend umgesetzt worden von allen Protagonisten. Mit Liebe, Herz und Hingebung.
Danke für den tollen Kinoabend.

Dagmar Collinet · 18.07.2022

Zum Film "In einem Land, dass es nicht mehr gibt" mich zu äußern, wäre verfrüht, denn ein Trailer gibt nur flüchtige Einblicke. Dennoch als aufmerksame Beobachterin und Hinhörende von Schauspierlern die sich in Dialekten versuchen, kann so manches in die Hose gehen. Ein Charakterdarsteller - wie Sabin Tambrea, sollte die ganze Figur mit Berliner Schnauze in sich aufsaugen, und auch das 80er Feeling und sein Schwulsein verwegen, frech und authentisch verkörpern können. Genau hier habe ich sofort bemerkt - obwohl Tambrea ein außergewöhnlicher Darsteller ist, dass ihm diese Echtheit nicht so recht gelingen mag, und er beim Tragischen Moment wieder ins Hochdeutsche verfällt. Gerade solch ein Film, wo Emotionen Begleiter von allen sind, braucht das Authentische. David Schütter, gelingt das spielend - Er lebt die Berliner Schnauze. Bitte einmal selbst aufmerksam hinhören - als echte Berlinerin höre ich das sofort. Berlinisch muss gefühlt werden, bis in die tiefsten Tiefen der Seele - auch der vornehme Berliner, oder der Schwule sprechen im Original Jargon. Auch empfinde ich die Einspielung der Musik, vermutlich bereits in USA, für die 80er als unpassend - das gehört schon eher vom Sound in die späten 90er. Ja, Sorgfalt in allen Punkten gehört für mich zu solch einem Film, und das vermisse ich hier.
Wenn ich das Filmplakat auf mich wirken lasse, will sich keine besondere Stimmung in mir breitmachen. Mir fehlt, das freche, frivole und verwegene eines Sabin Tambrea. Seine Mimik interpretiere ich als überrascht und unsicher, statt als verspielt-maskulin mit leicht verwegenen Zügen - wie es mich eher angesprochen hätte. Look und Mimik widersprechen sich hier. wo bleibt die leichte und feine Provokation? Das unterscheidet deutsche von amerikanischen Darstellern - Diese verkörpern die Figur mit Haut und Haar und nebenbei was von sich. Vielleicht kann das ein Anreiz sein, ein Experiment zu wagen.
Dagmar Collinet

Stenner · 17.10.2022

Sehr geehrte Frau Collinet, ich lebe seit 50 Jahren in Berlin,20 davon in Ostberlin. .Meine Kinder sind in Berlin geboren...iund wir alle sprechen hochdeutsch! Dass alle echten Berliner diesen Dialekt sprechen, entspricht nicht den Tatsachen...das sind eher die Brandenburger ..also auch von Ihrer Seite nicht zu viel Klischee! Viele Grüße von einer Berlinerin

Susanne Gries · 23.12.2022

Einen Film, für den sich Menschen Mühe gemacht haben, nach seinem Trailer und Plakat zu kommentieren, finde ich unwürdig.
Vielleicht doch zuerst in den Film gehen, bevor man potentiell Interessierte an diesem Film mit Plakatintetpretationen und Dialektforschung abschreckt?