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Ein Amish in Berlin — das kann doch nur schiefgehen. Was für Den Verlauf der Story von „Rumspringa“ gilt, trifft zum Glück nicht für Mira Thiels für Netflix produzierten Film ingesamt zu, der sich als durchaus ansehnliche Coming-of-age-Dramödie entpuppt.

Rumspringa (2022)

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Kommt ein Amischer nach Berlin...

Netflix lässt eine deutsche Komödie über einen Amish in Berlin drehen – eine Nachricht, die bei anspruchsvolleren Filmfans sofort die Alarmglocken schrillen lässt. Doch statt zotiger Witze über religiöse Minderheiten und einer grenzdebilen Hauptfigur präsentiert Regisseurin und Co-Autorin Mira Thiel mit Rumspringa eine Dramödie, die nur in den ersten Minuten auf dem erwarteten Pfad bleibt, um sich dann in eine durchaus ansehnliche Coming-of Age-Story zu verwandeln.

Nach einem Blick auf die Vita Thiels verwundert das auch gar nicht mehr, so hat die Münchnerin unter anderem die beiden letzten Tatorte mit Christian Ulmen und Nora Tschirner als Lessing und Dorn inszeniert. Und somit bewiesen, dass sie durchaus mit feinem Humor zurechtkommt. Den findet man in Rumspringa zwar nur selten, aber die Witze vom ersten Mal Alkohol, Drogen und Sex halten sich angenehm zurück. Thiel stellt stattdessen die Unterschiede zwischen dem Leben auf einer Farm in Pennsylvania und dem Moloch Berlin in den Vordergrund und lässt den unschuldigen Jacob mit großen Augen eine neue Welt entdecken. 

Hier spart das Drehbuch nicht an Klischees. So ist Alf (Timur Bartels) der typische, durchtrainierte Junge aus reichem Hause, den Jacob für einen der Seinen hält, weil Alf einen Amish-Bart trägt – natürlich aus Modegründen. Seine On-Off-Freundin Freya (Tijan Marei) zeigt als schwarz-blondes Püppchen mit Star-Up-Ideen, das jeden Tag einen neuen Plan schmiedet, aber keinen Sinn für bleibende Werte entwickelt, wenig Griffigkeit. Und Jacobs erste Großstadt-Begegnung Ina (Gizem Emre, Fack ju Göhte) ist als hippe Galeristin mit Loft und schräger Assistentin auch keine Offenbarung in Sachen Originalität.

Aber Thiel gelingt es, aus ihren jungen Schauspielern ein Maximum an Sympathie herauszuholen. Allen voran Jonas Holdenrieder als herzensguter Jacob ist mit seinen braunen Kulleraugen und seinem unbeholfenen Pennsylvaniadeutsch derart niedlich, dass das Publikum ihn am liebsten selbst bei der Hand nehmen möchte. Und in der zweiten Hälfte des Films, wenn der Humor zugunsten einiger Statements über das Leben in den Hintergrund tritt, zeigt Rumspringa sogar Ansätze von Tiefe, wenn Alf aufgrund der Freundschaft zu Jacob sein Leben reflektiert oder Ina durch Jacobs Unschuld plötzlich ungeahntes sexuelles Interesse entwickelt. 

Natürlich erreicht Rumspringa hier keine wirklichen dramatischen Momente, dazu erinnert schon die hektische Machart mit innovativen, wilden Kamerafahrten und wilden Schnitten zu sehr an Vorbilder wie How To Sell Drugs Online Fast. Hier wie dort steht oft der Stil im Vordergrund und nicht die Substanz. Aber Thiel weiß, in welchen Momenten sie ihren Schauspielern auch die Zeit geben muss, ihre emotionale Wirkung zu entfalten, und dafür inszenatorisch einen Gang herunterzuschalten. Besonders der gegenseitige Lernprozess zwischen Jacob und Alf, den Thiel wertungsfrei in Szene setzt, kann überzeugen. So ist Alf fasziniert vom einfachen, aber funktionierenden Wertekatalog Jacobs, der in fast jeder Situation einen passenden Rat bereithält. Und Jacob schätzt das ehrliche Interesse Alfs an seiner Person und die Bereitschaft, sein Rumspringa so ergiebig wie möglich zu gestalten. 

Auch der respektvolle Umgang mit dem Glauben der Amish fällt bei Rumspringa positiv auf. Das Drehbuch verzichtet auf billige Gags über die freiwillig weitgehend ohne Technik lebende Gruppe und zeigt nicht ungeschickt dafür lieber die Gemeinsamkeiten junger Menschen auf, die trotz völlig unterschiedlicher Herkunft vor den gleichen großen Fragen des Lebens stehen. Das besticht auch im gut austarierten Finale des Films.

Fazit: Mit Rumspringa präsentiert Netflix nicht den befürchteten Humor-Totalausfall aus der untersten Schublade, der sich über viel nackte Haut und Zoten definiert. Stattdessen erzählt Regisseurin Mira Thiel in ihrer Dramedy eine zwar klischeebeladene, aber nichtsdestotrotz sympathische Coming-of Age-Geschichte mit guten Darstellern und Gespür für ruhige Momente, wenn auch der Löwenanteil des Films inszenatorisch mehr Stil als Substanz aufweist. 

Rumspringa (2022)

Ein junger Amischer reist nach Berlin, um sich auszuprobieren. Dort findet er seine Wurzeln, verliebt sich und er gerät in das Abenteuer seines Lebens.

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Meinungen

Hanah Ott · 03.05.2022

Der Otter im Film hat mich sehr gecatcht!