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In The Rider beschäftigt sich Chloé Zhao mit Vorstellungen von toxischer Maskulinität im Machomilieu der Rodeoreiter von South Dakota. Was passiert, wenn der einzige Satz, den Jungs beim Heranwachsen gesagt bekommen, lautet: „Ein echter Cowboy ignoriert den Schmerz“?

The Rider (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Ein Cowboy kennt keinen Schmerz

Die Stalltüre öffnet sich zum Morgengrauen hin, die Silhouette eines Cowboyhutes hebt sich vom violett gefärbten Himmel ab. Die Bilder lassen an Kelly Reichhardts Episodenfilm Certain Women über einsame Frauen in der Weite Montanas denken. Eine davon, gespielt von Lily Gladstone, versorgt Pferde auf einer Ranch. The Rider erinnert zuweilen an diesen Film und auch die Figuren sind sich nicht unähnlich, auch wenn Brady (Brady Jandreau) das nicht hören wollen würde. Denn er ist ein Mann, oder noch wichtiger: ein Cowboy. Er reitet Rodeo, noch dazu ausgesprochen gut.

Mit The Rider ist Chloé Zhao ein großartig einfühlsamer Film gelungen, der davon erzählt, wie toxische Vorstellungen von Männlichkeit jedes noch so starke Individuum früher oder später klein kriegen. Brady hat keinen Schulabschluss und keine formelle Ausbildung, aber dafür eine hohe emotionale Intelligenz. Er kümmert sich liebevoll um seine geistig behinderte Schwester und hat als Pferdetrainer besonders für die widerspenstigen Tiere ein gutes Händchen. Nur fehlen in seinem Kaff in South Dakota die Vorbilder, die ihm versichern, dass dieses Händchen eine Gabe ist. Überhaupt fehlen andere Jobs, Perspektiven. „Be a man, grit your teeth“, hat sein Vater ihm immer gesagt – und das hat er getan, bis er eines Tages beim Rodeo vom Pferd geworfen und vom Huf am Kopf getroffen wurde. Nun stabilisiert eine Stahlplatte sein Hirn und er soll nicht mehr reiten. Ein Pferd mit gebrochenem Bein wird erschossen, weil es die ihm zugewiesene Aufgabe nicht mehr erfüllen kann. „Wäre ich ein Tier, würden sie mich umlegen“, denkt Brady folglich, „denn ein Cowboy ist zum Reiten da.“

Wie schon in ihrem Vorgängerfilm Songs My Brothers Taught Me arbeitet Zhao für The Rider mit Darstellern zusammen, die Versionen ihrer selbst spielen, filmt bei tatsächlichen Rodeos, nutzt natürliches Licht. Dabei heftet sich die Kamera vorrangig an Brady, seinen grüblerischen Ausdruck, seinen beeindruckend flinken Körper während der Arbeit mit den Pferden. Für diese Szenen nimmt sich der Film besonders viel Zeit: im hektischen Schnauben, den weit aufgerissenen Augen und dem wilden Buckeln der Tiere spiegelt sich all die Angst und Wut, die bei Brady lediglich unter der Oberfläche brodeln darf. Im Grunde weiß er genau, wie es für ihn weitergehen muss, aber nichts ist schlimmer als sich und dieser so weiten und doch so winzig kleinen Welt einzugestehen, dass er nie mehr wirklich zum Macho-Club der Rodeoreiter gehören wird. Noch immer kommen die kleinen Jungs im Supermarkt zu ihm und wollen zwischen den Gängen ein Selfie mit ihrem Helden aus der Arena machen. Aber wenn sie ihn fragen, ob er jetzt hier arbeite, liegt eine Mischung aus Mitleid und Abfälligkeit in ihrem Blick.

Chloé Zhao findet für diesen inneren Konflikt immer wieder so pointierte Bilder, dass viele der Szenen in The Rider auch als Kurzfilme perfekt funktionieren würden. So leidet Brady unter merkwürdigen Krampfanfällen in der rechten Hand. Das sei im Grunde ein Kommunikationsproblem, erklärt ihm die Ärztin, sein Hirn feuere Informationen ab und die Hand käme nicht hinterher. Er solle sich schonen. Aber Brady steht so unter Druck, dass er stur immer wieder auf den Pferderücken steigt und sogar noch abends beim Fernsehen seine Freunde zum Wrestling herausfordert. Dabei ist er nicht der Einzige, der Verletzungen davonträgt. Vielmehr scheint es, als sei South Dakota voller Veteranen, als würden im Film nicht nur Psychen, sondern auch gestählte Männerkörper schleichend zersetzt. Stehen in The Rider Menschengruppen zusammen, hat darunter immer irgendjemand eingegipste Gliedmaßen. Auf der Ranch arbeitet ein Mann mit Armprothese und in seiner Freizeit besucht Brady regelmäßig einen Freund, der seit einem Unfall beim Bullenreiten schwer paralysiert ist. Gemeinsam schauen sie auf dem Handy alte Videos seiner Reittriumphe an. Es wird ein langer Prozess für Brady, zu verstehen, dass die Triumphe der Zukunft anders aussehen werden. Aber sie werden kommen.

The Rider (2017)

Einst war er einer der Stars beim Rodeo, doch nach einem schweren Unfall muss der Cowboy Brady seine Träume von einer großen Karriere an den Nagel hängen. Als er ins OPine Ridge Reservat zurückkehrt, fühlt er sich mutlos und leer und macht sich auf die anstrengende Suche nach einer neuen Aufgabe — oder noch besser einer neuen Identität.

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Meinungen

Maria B. · 18.11.2022

Zu meinem eben gesendeten Kommentar habe ich vergessen, dass ich generell gegen jede ARI von Wettkampf mit Tieren bin, bei denen diese leiden, oder Schlimmeres. #

Maria B. · 18.11.2022

Ich hatte schon von dem Film gehört, als er in die Kinos kam. Leider konnte ich lange Zeit nicht ins Kino. So habe ich den Film erst heute gesehen. Er hat mich gefordert, fasziniert, zum Weinen gebracht. Und, er hat mich erneut gelehrt, dass Menschen in der Welt, je nachdem, wo sie aufwachsen, ganz besonderen Herausforderungen und Lebensbedingungen begegnen müssen. ICh bin überwältigt von dem Charakter des Brady, seines Bruders und seiner Schwester. Die innige und fürsorgliche, liebevolle Beziehung der Geschwister ist herzergreifend. und, absolut überzeugend dargestellt. Brady ist ein Held, nicht nur in seiner Entschlossenheit, wieder Rodeo zu reiten, Pferde zu zähmen, sondern auch, in seiner großen Menschlichkeit. Seine tiefe Liebe u. sein Respekt für die Pferde, sind mehr als überzeugend und echt. Brady ist ein amerikanischer Held, der es verdient hat, so genannt zu werden.
EIn Film, der emotional fordert, auch besonders, wenn man Tiere liebt. Aber, die ganz besondere Verbundenheit des Menschen mit Tieren, hier Pferden, wird glaubhaft dargestellt. Auch, dass es einer Gabe bedarf, diese Verbundenheit zu erarbeiten, und, sich als Mensch zu verdienen. Zum Wohle des Tieres´?!
Zum Schluss bleibt die Erkenntnis: das Leben eines Cowboys ist alles als leicht.

Und, für mich speziell wieder der Beweis: Menschen haben unendlich verschiedene Lebensbedingungen. Die sie ganz in jungen Jahren prägen. So, wie im Film dargestellt.
Der Mensch muss mit anderen Menschen sprechen, um voneinander zu erfahren, einander zu verstehen versuchen. Voneinander zu lernen.

Susann · 20.05.2021

Einfühlsam allenfalls wie immer nur für Menschen. Tiere werden benutzt und für das reine Vergnügen von Menschen geschlagen, gequält und auch getötet. Hatte recht schnell genug gesehen. Menschen werden wohl niemals in der Lage sein, sich in eine andere Spezies als sich selbst einzufühlen und ihr Tun zu hinterfragen. Statt Mitgefühl mit den Darstellern musste ich sogar denken, wenigstens rächt sich das Ganze auch ab und zu an ihnen. Hochgelobt und ausgezeichnet soll sowas sein? Der Film war ein Schuss in den Ofen für mich.

Martin Zopick · 29.09.2020

Dieser Film von Cloé Zhao ist von der Thematik und der Dramatik typisch amerikanisch. Uns Europäern geht das alles total an der BAcke vorbei. Allenfalls Pferdeliebhaber könnten sich diesen Schmonzes eventuell antun.
Vielleicht war Chloé aber auch so von der Tragik der Familie Jandreau beeindruckt, dass sie neben dem Bruder auch noch Vater Tim und Schwester Lily vor die Kamera holte. Und die haben alle tatsächlich schauspielerische Begabung, zumindest wenn sie sich selbst spielen.
Nach einem Sturz vom Pferd darf der Rodeo Reiter Brady (Brady Jandreau) nie wieder reiten. Wegen eines Schädelbruchs hat er eine Metallplatte im Schädel. Er jobbt im Supermarkt, streitet sich mit seinem Vater und steht seiner etwas zurückgebliebenen Schwester Lily bei. Und immer wieder drängt es ihn in die Nähe der Vierbeiner. Geht wie ein Pferdeflüsterer auf die Tiere ein und…reitet doch noch einmal. Nur das war’s schon. Man weiß nicht, ob etwas passiert ist oder nicht oder ob Brady vielleicht wundersam geheilt worden ist. Offenes Ende. Im Kladden Text werden Erkenntnisse erwähnt, die Brady offenbar gekommen sein sollen. Im Film habe ich davon nichts bemerkt. Nur dass er ein netter junger Mann ist, wenn es um den Umgang mit seinen Kumpels geht. Ein paar Prozent fallen vielleicht noch von der Mitleids-Masche ab. Per Saldo etwas wenig. So war der Film auch nur auf vielen Festivals zu sehen. Ansonsten ein Flop. K.V.

felix k · 11.04.2021

Der Machismo ist nicht typisch amerikanisch. Der Film zeigt, wie man damit umgehen kann, wenn einem der Traum, ein Held zu sein, abhanden kommt. Dieser Kampf und die einfühlsame Art, mit schwer Behinderten umzugehen, ist ein Kunststück. Ein Held verliert eine Träne. Das macht ihn stark und sehr menschlich.

JeaNette Riaz · 20.05.2021

Gerade eben auf ARTE im TV gesehen und kann Martin Zopick in allem nur zustimmen! Manche Filme werden oft trotz wenig Handlung durch schöne Bilder und die dadurch gestaltete Stimmung getragen, aber auch dies war hier nicht der Fall.

mike · 20.05.2021

wenn man nach "Der Pferdeflüsterer" Kriterien urteilt ist das sicher kein "schöner" Film, dafür ist er zu nah am realen Leben (nicht zuletzt wird hier eine fast reale Geschichte erzählt, deren Protagonisten sich selbst spielen. Auch orientiert der Film sich in keiner Weise an den gängigen Hollywood Klischees und läuft konträr zu deren eindimensionalen Sehgewohnheiten. Es gibt keine schnellen Schnitte und keine ungewöhnlichen Kameraperspektiven. Ein wunderschöner Film, der die Macho Ideale des amerikanischen Rodeo Reitens Schritt für Schritt demontiert und gleichzeitig die Suche eines jungen Mannes nach dem Sinn des Lebens schildert, die Kraft, die er in den Bindungen zu seiner behinderten Schwester findet sowe in seiner ungebrochenen Liebe zu den Pferden. Ein Film von außergewöhnlichern Schönheit.

Nana · 25.05.2021

Vielen Dank lieber Mike,

Die meisten in Europa haben und wollen auch keine Ahnung davon haben wie viele Staaten der USA bis heute funktionieren. Wenn man sich nicht hineinsetzen will, versteht man den Film absolut nicht, da es mit den europäischen Normen gemessen wird- siehe Tierhaltung etc. Ich fand den ungewöhnlichen Geschmack nach der ersten Minuten richtig gut und wurde absolut in diese Welt und die Lage des jungen Mannes mitgenommen.