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Ein Paar verliert kurz nach der Geburt ihr erstes gemeinsames Kind. Welche Auswirkungen hat dies auf ihre Beziehung und was hat das mit Film als Kunst zu tun?

Pieces of a Woman (2020)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Das Verschwinden einer Frau

Wenn Sean (Shia LaBeouf) auf Geheiß der Hebamme panisch durch den Hausflur rennt, um die ankommende Ambulanz zu empfangen, nur mit roten, kurzen Shorts und einem grauen Sweatshirt bekleidet auf die Straße springt und den Wagen stoppt, die Sirenen und das blaue Licht die Zuschauer*innen audiovisuell umfangend, dann ist das der emotionalste Moment des Films: Durch die Absenz von Martha (Vanessa Kirby) und ihrem Neugeborenen, von Mutter und Kind, und den in diesem Moment kulminierenden dramatischen Ereignissen der Hausgeburt, wird gezeigt, was unsichtbar bleibt, der Kindstod, nur wenige Minuten nach der Geburt. Gut 30 Minuten in den Film wird der Titel eingeblendet: „Pieces of a Woman“.

Mit der Einblendung des Titels nicht direkt oder kurz nach dem Beginn des Films wird – ein Stilmittel, das um einiges profunder Gaspar Noé in Climax einsetzt – zum einen von Regisseur Kornel Mundruczó einem dezidiert Arthouse-geschulten Publikum Reverenz erwiesen und eine Brücke geschlagen zum Mainstream-Kino; und zum anderen der Film in zwei Teile geteilt. Die Struktur, die der Film von der ersten Einstellung her aufweist, ist eine episodische: Daten verorten uns konkret in der Zeit und mit jedem Zeitstempel kehren wir an die Baustelle der Flussbrücke zurück. Ab der ersten Einstellung des Films ist damit eine Frage aufgeworfen, die der Filmerfahrung Struktur geben soll: Wann werden sich die beiden Seiten treffen? Die einzelnen Episoden sind jedoch nicht in sich geschlossen (bis auf die erste), so dass leider offenbleibt, welche konkrete Funktion die Daten letztendlich haben. Die Fertigstellung der Brücke scheint eine recht billige Metapher für die zentrale Frage des Films zu sein: Schafft es das Paar nach dem tragischen Verlust eine Brücke zu bauen, erreichen sie gemeinsam das rettende Ufer? Wird die Brücke zu einem Ort der Versöhnung wie in der Folge von beispielsweise Sex and the City, wenn sich Miranda (Cynthia Nixon) und Steve (David Eigenberg) entschließen, seinen Seitensprung hinter sich zu lassen und gemeinsam ein neues Leben zu beginnen? Eine Metapher, die letztendlich so uninteressant ist, weil sie es nicht schafft, die Ereignisse so zu spiegeln, zu invertieren oder zu hintergehen, dass sie fast entleert wird. Ein Platzhalter, eine leere Hülle, eine Klammer.

Könnte es denn sein, dass die Episoden die Pieces sind, die im Titel angesprochen werden? Feministische Autor*innen beschreiben die Geburt wahlweise als einen Vorgang der Neu-Ordnung des Ichs oder des Übergangs (wie etwa Margaret Atwood in der Kurzgeschichte „Giving Birth“) oder als eine Erfahrung, die das Ich förmlich aufspaltet, zersplittert (Rachel Cusk in „A Life’s Work“). Die Schwangerschaft an sich transformiert den weiblichen Körper und gebiert gleichsam eine weitere Rolle, die der noch werdenden Mutter; mit der Geburt ist sie dann Mutter. Dieser für das menschliche Leben so zentrale Vorgang wird zwar filmisch oft dargestellt, die Konsequenzen für die weibliche Subjektivität jedoch selten abgebildet. Hier versprach Pieces of a Woman eine Lücke zu besetzen – ein Versprechen, das der Film nicht gänzlich einlöst.

Denn, und das ist wirklich erstaunlich, die Protagonistin Martha entrückt im Verlauf des Films immer mehr, sie verschwindet förmlich. Wie kann es sein, dass man mit ihrem Ehemann, einem anfangs sympathischen Underdog-Typen doch dann in männliche Klischees abdriftenden Charakter, mehr mitfühlt als mit ihr? Ein Ehemann, der es schafft, das gemeinsame Leid in einen an Vergewaltigung grenzenden Intimakt zu verwandeln. Und nicht mit Martha, die nicht nur die schmerzhafte Transformation der Geburt durchlaufen hat, sondern auch noch das Trauma des Kindsverlusts? Selbst ihre Mutter Elizabeth (Ellen Burstyn), die Sean nicht ausstehen kann, schafft es, ihm gegenüber Empathie zu zeigen – über ihre eigene Tochter rollt sie in einer eindrucksvollen, wenn auch den Rahmen der Handlung noch weiter sprengenden Szene mittels eines Monologs einfach hinweg. Martha wird zur Projektionsfläche der Wünsche und Verlangen anderer. Auch hier ist Pieces of a Woman schmerzhaft nah an tradierten Darstellungsklischees.

Noch mehr als von einem Verschwinden könnte man daher von einer Entleerung Marthas sprechen. Sie verliert im Verlauf des Films sukzessive ihre Stimme, man sieht sie viel allein durch die Gegend wandern, ihr Blick geht ins Nichts, in vielen Szenen wirkt sie abwesend, fast apathisch. Auch der Versuch einer Auflösung, des Zusammenklebens der Bruchstücke, einer Auffüllung der Leere am Ende des Films kann diesen Eindruck nicht ausradieren. Vor allem, da dieser in der Form einer juristischen Schuldfrage daherkommt, die das Beziehungsdrama in den Gerichtssaal verlagert, der nach anderen Regeln funktioniert. Dieser Kulminationspunkt ist ein Griff in die Box der ‚let’s wrap this up‘-Stilmittel.

Sehr ärgerlich ist außerdem der Gebrauch einer Metapher, die bereits angesprochenen in ihrer Krudität noch überbietend. Nachdem es Martha versagt ist, erfolgreich Leben in die Welt gebracht zu haben, getrieben von dem Verlangen nach Äpfeln (ihre Tochter duftete danach), möchte sie Apfelkerne zum Keimen bringen, um doch noch, Achtung!, Leben zu schenken.

Und schließlich kann die Zweiteilung auch als ein zentrales Problem von Pieces of a Woman selbst verstanden werden, das sich an eine zentrale Debatte in der Kunst und auch des Films anschließt. Die 23-minütige Einstellung (in Filmzeit eine Ewigkeit, in Realität eine Wundergeburt), die ungeschnittene Geburtsszene ist nicht ohne Kontroverse: Zeigt man hier einen für das menschliche Leben so zentralen und natürlichen Vorgang in seiner Schwere und Extreme, um diesen einmal gezeigt zu haben, also Realität um derselben willen? Für manche mag dies zu exzessiv wirken, die viszerale Kraft dieser Szene, die einen mitreißt und körperlich unglaublich angeht. All den Kritiker*innen, denen das ‚zu viel‘ ist, möchte ich entgegenhalten, dass man auf viele exzessive Schlachtszenen oder Foltersequenzen auch verzichten könnte. Nur wenn es um den weiblichen Körper geht, dann gehört Schmerz und Blut immer noch versteckt. Diese Szene ist herausragend und wichtig. Umso deutlicher fällt dagegen der zweite Teil ab.

Geburt und kurzdarauffolgender Kindstod: ein traumatisches Erlebnis. Diesem wird mit Pieces of a Woman versucht, Raum zu geben. Das Thema an sich anzusprechen und zu verfilmen, ist ein Verdienst, den man würdigen muss. Auch der Cast spielt sehr gut und ist bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt. Es ist daher umso bedauerlicher, dass er inhaltlich und strukturell in eben jene Pieces zerfällt.

Pieces of a Woman (2020)

Nach dem Tod ihres Babys macht sich eine trauernde Frau auf eine Reise, um mit dem Verlust umzugehen zu lernen.

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Meinungen

Andreas · 28.12.2022

Habe mir den Film auf Netflix angeguckt.
Ein wenig in die Länge gezogen.
Frage mich warum die sich keine Hilfe gesucht haben.

Und seit wann steht die Brücke von der er bei der Anwältin nach dem … redet nicht mehr in Istanbul aber in den Staaten?

Sarah · 06.06.2022

Ich habe mir diesen Film heute auf Netflix angeschaut und dieses Thema hat mich sehr berührt.
Der Film war mir zuwenig strukturiert.
Es war für mich nicht nachvollziehbar warum ein Ehepaar welches sich sehnlichst ein Baby wünscht so auf eine Hausgeburt besteht.
Und auch nicht,dass beide sich nachher keine Hilfe geholt haben.
Ausserdem ist der Film sehr in die Länge gezogen

Christiane · 26.04.2021

Es hat mir den Atem geraubt, Martha in ihrem Trauerprozess zuzusehen. Gerade das Verstummen und Verschwinden von Martha sind so glaubwürdig, denn diese Leere nach dem Verlust eines Kindes ist wie ein Versinken in einer bodenlosen Höhle. Wer das selbst erlebt hat, kann sich in dem Film wiederfinden. Die Apfelsymbolik ist nicht klischeehaft sondern in der Situation, in der Martha ganz alleine wieder ins Leben finden muss, eine Inspiration.

Jakob · 10.04.2021

Dieser Film hat eine Ø Note verdient. Aber die "Geburtsszene" ist schon sehr lang ausgefallen. Das Ende ist auch irgendwie trivial und unecht. Ich weiss beim besten Willen nicht, wieso so ein seltenes Ereignis, wie der Kindstod, so viel Aufmerksamkeit braucht. Man könnte den Film auch in 1 Std. machen. Übrigens, der Vater hat auch eine seltsame Rolle.

Inke · 12.01.2021

Dieser Film erzählt verrückter Weise meine Geschichte.
Vielleicht durfte er deshalb emotional nicht so nah an mich heran kommen.

Doris · 10.01.2021

Habe selten einen so langweiligen Film gesehen

Heribert · 11.01.2021

Ernsthaft????
Das kann wirklich nicht dein ernst sein. Entweder hast Du den Fllm nicht verstanden oder ihn gar nicht gesehen.
Dieser Film ist in jeder Hinsicht ein Meisterwerk wenn auch schwer zu ertragen aufgrund der Geschichte die er erzählt.

Hh · 20.04.2021

Nee fand ihn auch langweilig... Meisterwerk?? Hahaha gibt's 100% bessere Filme