Mike Leigh

Mike Leigh

Mike Leigh, am 20. Februar 1943 in Salford nahe Manchester geboren, ist einer der bekanntesten britischen Filmemacher, der auch international zu den Größen des Filmgeschäfts gehört. Leigh stammt aus einer Familie jüdischer Immigranten aus Russland, die ursprünglich den Namen Liebermann trugen, noch vor der Geburt des Sohnes ließ die Familie den Namen dem Englischen anpassen. Die Kindheit und Jugend in einer Arbeiterstadt prägten Mike Leigh, so dass auch seine Filme die Spuren der Erinnerung tragen – sie handeln meist von kleinen Leuten aus der Unter- und Mittelschicht, von ihren Sorgen und Nöten und dem alltäglichen Kampf ums Überleben und um das kleine Glück. In der Tristesse der Arbeiterstadt erhielt Leigh auch seine ersten Film-Lektionen: Aus lauter Langeweile wurde Leigh zu einem eifrigen Kinobesucher und hat nach eigenen Angaben kaum einen Film zwischen 1949 und 1960 verpasst. Ein breites Fundament – zumindest theoretisch.

Die praktische Ausbildung folgte an der Royal Academy of Dramatic Arts (RADA) in London, wo der spätere Regisseur zunächst Schauspiel studierte, es folgte die Camberwell Art School, die Central School of Arts and Crafts, an der sich Leigh dem Bereich Bühnenbild zuwandte und schließlich die London Film School.

Im Anschluss an seine Ausbildung arbeitete Leigh lange Zeit am Theater, er inszenierte, spielte und schrieb im Laufe seiner Karriere mehr als zwanzig eigene Stücke, von denen zwei später unter seiner eigenen Regie für das Fernsehen verfilmt werden sollten: [Nuts in May (1975) und Abigail’s Party (1977). Doch mit der Zeit wuchs die Frustration über die Unwiederbringlichkeit und Einzigartigkeit jeder Theateraufführung, so dass Leigh sich nun verstärkt dem Film zuwandte. Es sollte sich zeigen, dass Leigh darin sein eigentliches künstlerisches Medium gefunden hatte. Denn bereits sein erster Kinofilm Freudlose Augenblicke / Bleak Moments (1971), der ebenfalls auf einem Theaterstück basierte, wurde zu einem Erfolg, der sowohl beim Filmfestival von Chicago wie auch in Locarno den ersten Preis erringen konnte. Trotz des einhelligen Kritikerlobs war der Film an den Kassen kein Erfolg und endete in einem finanziellen Desaster, so dass Leigh sich zunächst der sichereren Arbeit beim Fernsehen zuwandte

In den nächsten Jahren folgten vor allem Arbeiten für das Fernsehen und immer wieder auch für das Theater, bevor Leigh im Jahre 1988 mit Hohe Erwartungen / High Hopes im Kino reüssieren konnte, der bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Kritikerpreis ausgezeichnet wurde. Auch Leighs nächster Film Das Leben ist süß / Life is sweet (1990) erhielt zahlreiche Auszeichnungen, doch der große Durchbruch kam erst drei Jahre später, als der Regisseur für seinen Film Nackt / Naked die Goldene Palme als bester Film in Cannes erhielt. Außerdem erhielt Mike Leigh für diesen Film noch die Auszeichnung als bester Regisseur und David Thewlis wurde an der Cote d’Azur als bester Hauptdarsteller gekürt.

1996 folgte mit Lügen und Geheimnisse / Secrets & Lies ein weiterer Erfolg, der neben den Kritikern (abermals erhielt Leigh für diesen Film die Goldene Palme sowie fünf Oscar-Nominierung und etliche andere Auszeichnungen) auch das Publikum begeisterte. Bereits ein Jahr später legte Leigh mit Karriere Girls / Career Girls erneut einen viel beachteten Film vor, 1999 betrat der Regisseur mit Auf den Kopf gestellt / Topsy-Turvy erstmals erzählerisches Neuland und entfernte sich etwas von seinem bislang gepflegten Realismus. Zudem – auch das war eine Neuerung in der Arbeitsweise – wagte er sich erstmals an ein historisches Thema, das er im Gewande eines Musicals inszenierte. Der Lohn des Wagnisses: Zwei Oscars in den Kategorien besten Kostüme und das beste Make-up sowie zwei weitere Nominierungen für die beste Ausstattung und das beste Originaldrehbuch. 2002 folgte All or Nothing, 2004 wandte sich Mike Leigh mit Vera Drake abermals einem Stoff zu, der in der Vergangenheit spielt. Wie der vorherige Film, so wurde auch Vera Drake mit Auszeichnungen und Preisen überschüttet und überschwänglich gefeiert.

Mike Leigh gilt neben Stephen Frears und Ken Loach als bedeutendster Vertreter des „New British Cinema“ und als erbarmungsloser Chronist der Thatcher-Jahre und ihrer Folgen für die Gesellschaft. Sein Anspruch auf Realismus findet sich auch in seiner Art und Weise der Inszenierung: Meist arbeitet Leigh ausführlich mit den Schauspielern, improvisiert weite Teile des Films und geht seine Projekte meist ohne ausgearbeitetes Drehbuch an, so dass das Ende des Films am Anfang stets noch offen ist. Filmemachen als Wagnis und als genaue Beobachtung der Realität – das ist Mike Leighs künstlerisches Credo. Und bis zum heutigen Tage haben sich dieser Mut und diese Ehrlichkeit mehr als bezahlt gemacht. Zumal das alles auch manchmal richtig Spaß machen und pure Lebensfreude ausstrahlen kann – wie in Mike Leighs jüngstem Werk Happy-Go-Lucky, der 2008 das Berlinale-Publikum verzauberte.

Filmographie — Mike Leigh (Auswahl)

2010
Another Year

2007
Happy-Go-Lucky

2004
Vera Drake

2001
All or Nothing

1999
Auf den Kopf gestellt / Topsy-Turvy

1997
Karriere Girls /Career Girls

1996
Lügen & Geheimnisse / Secrets & Lies

1993
Nackt / Naked

1992
A Sense of History (Kurzfilm)

1991
Das Leben ist süß / Life is Sweet

1988
Hohe Erwartungen / High Hopes

1987
The Short and Curlies (TV, Kurzfilm)

1984
Four Days in July (TV)

1983
Meantime (TV)

1971
Freudlose Augenblicke / Bleak Moments