Irrational Man

Vom Sinn des Lebens nicht überzeugt

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Böse Zungen behaupten, Woody Allen mache seit Jahrzehnten immer wieder denselben Film. Manche finden sogar, er hätte seine besten Jahre schon lange hinter sich. Sein neues Werk Irrational Man ist eine schwarze Komödie voller Fragen über Philosophie und Existenzialismus, Moral, Beziehungen – you name it. Die großen Woody Allen-Themen.
Emma Stone, die schon in seinem letzten Film Magic in the Moonlight eine Hauptrolle übernahm, spielt hier die Philosophiestudentin Jill, deren Ansichten über das Leben auf den Kopf gestellt werden, als ein neuer Professor an der Fakultät auftaucht: Abe (Joaquin Phoenix) ist ein Wrack mit Bierbäuchlein und ständig griffbereitem Flachmann, ein bisschen wie das männliche, intellektuelle Pendant zur ruinierten Cate Blanchett in Blue Jasmine. Gerüchte ranken sich schon vor seiner Ankunft auf dem ganzen Campus um ihn und seine düstere Ausstrahlung. Was eigentlich Abes Problem ist: "Ich konnte mich nicht an den Sinn des Lebens erinnern und als er mir wieder einfiel, fand ich ihn nicht überzeugend."

Mit Irrational Man kehrt Woody Allen zu einer Art Geschichte zurück, wie er sie so ähnlich schon in Verbrechen und andere Kleinigkeiten oder Match Point erzählte. Die Freundschaft zwischen Abe und Jill, von beiden abwechselnd im Voice-Over Revue passiert, entwickelt sich auf ihr Drängen hin bald zu einer Affäre und alles könnte perfekt sein, ist es aber natürlich nicht. Die Liebesgeschichte verwandelt sich zunehmend in einen ausgefuchsten Krimiplot. Abe will den perfekten Mord inszenieren, nur darf davon selbstverständlich niemand wissen. Das Opfer: ein zwielichtiger Richter, von dessen Schandtaten Jill und Abe zufällig beim Essen hören – in einer übrigens wunderbaren Szene, in der die Kamera die Funktion ihrer Ohren übernimmt und beiläufig beobachtend an den Nebentisch im Diner gleitet, wo sich wildfremde Menschen unterhalten. Die anonyme, ritterliche Rache an dem Richter wird für Abe zur fixen Idee und plötzlich ist der Mann kaum wiederzukennen. Sein Leben scheint endlich einen Sinn zu haben und all die banalen Kleinigkeiten – ein gutes Frühstück, der Geschmack eines guten Weines am Abend – geben ihm nur noch mehr Daseinsfreude.

Woody Allen hatte noch nie Probleme, für seine Filme vielversprechende Casts zusammenzutrommeln – und auch in Irrational Man hat er mit Joaquin Phoenix und Emma Stone eine gute Wahl getroffen: Er gibt überzeugend den existenzialistischen Griesgram, sie leistet mit ihrem wohldosierten Overacting einen grandiosen Beitrag zur kontinuierlichen Steigerung der Intensität, die schließlich in einem absurd-witzigen Finale kulminiert. Sein Gespür für intelligente, schwarzhumorige Komik hat Woody Allen nicht verloren, soviel steht hier fest. Der Regisseur hält sich nicht mit langem Vorgeplänkel auf, sondern bringt seine Geschichte mit Verve in Gang. "Philosophie ist Masturbation" lässt Abe seine Studenten in einer der ersten Stunden wissen und schon bald darauf verlässt der Film den Elfenbeinturm namens Campus und stürzt sich lieber in die kräftig augenzwinkernden Handlungsstränge um Affären und Mordpläne. Seine Intention: eine Lektion, die man nicht aus Lehrbüchern lernen kann. Irrational Man zeigt, dass Woody Allen noch lange nicht alles erzählt hat.

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