Schafstage - Im Karwendel mit den Mittenwalder Schäfern (2023)

Flauschig, wie im Himmel

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Seit er krabbeln kann, sei er bei den Schafen mit dabei gewesen, sagt Florian, der Sohn des Schafhirten Peppi Hornsteiner, an einer Stelle. Bei ihnen sei es „flauschig, wie im Himmel“, meint er – und spätestens hier wird deutlich, dass der Dokumentarfilm „Schafstage“ nicht nur von einem Beruf erzählt, sondern vor allem von einer großen Passion, die sich im Idealfall von einer Generation auf die nächste überträgt.

Der Regisseur und Kameramann Klaus-Peter Hütt begleitet zusammen mit seinem Co-Regisseur und Produzenten Walter Steffen den gelernten Metzger Peppi Hornsteiner, der vor drei Dekaden den Entschluss fasste, Hirte zu werden. Zu Beginn führt uns ein Erzähler ins gezeigte Milieu ein. Die Region Mittenwald gilt als Hochburg der bayerischen Bergschafhaltung; mit der Beweidung des dortigen Landschaftsraums geht eine seit langem bestehende und sorgsam gepflegte Tradition einher.

Der Film nutzt zur Vermittlung von Informationen neben seiner Erzählerstimme die gängige Talking-Heads-Methode: Die Protagonisten sitzen in ihrer Arbeitskleidung oder in ihrer Tracht vor Stallhintergründen und geben Einblicke in ihre Tätigkeiten sowie in ihre persönlichen Einstellungen zu dem, was sie teilweise schon seit vielen Jahren oder Jahrzehnten tun.

Während diese Interviewstrategie gewiss recht konventionell ist, hebt sich die musikalische Untermalung der Bilder angenehm vom Durchschnitt dokumentarischer Porträts und Studien ab: Die zurückhaltenden und doch stimmungsvollen Klänge von Wolfgang Obrecht verleihen Schafstage etwas sehr Einnehmendes, wodurch das von Florian Hornsteiner benannte positive Gefühl im Umgang mit Schafen auf schöne Weise vermittelt wird.

Hütt gibt sich beziehungsweise den Männern und Tieren vor der Kamera die nötige Zeit, um das Milieu ausgiebig zu erfassen. Neben Peppi und Florian Hornsteiner kommen etwa noch der Almmeister der Forst- und Weidegenossenschaft sowie der im Gebiet für die landwirtschaftlichen Nutztiere zuständige Tierarzt und die als erster und zweiter Vorstand im Verein der Mittenwalder Bergschafzüchter fungierenden jungen Männer Georg und Franz Strodl zu Wort. Alle schildern ihre individuellen Geschichten und worauf sie bei der Ausführung ihrer Berufe oder Ämter besonderen Wert legen. Der Tierarzt Martin Simon „kennt keine Sonn- und Feiertage“ – und keiner von ihnen scheint sich ein Leben ohne die Schafe überhaupt vorstellen zu wollen.

Wie auch andere Dokumentarfilme über das landwirtschaftliche Arbeiten, etwa Tobias Müllers Sauacker (2013), romantisiert das Werk die Lebenswirklichkeit der Beteiligten nicht. Die Konflikte und die mühsamen, zuweilen gar gefährlichen Situationen werden nicht ausgeblendet. Es gelingt aber, die Begeisterung der Porträtierten für die Schafzucht nachvollziehbar zu veranschaulichen – und dabei herrliche Augenblicke einzufangen, etwa wenn Peppi mit seinem Hund Luna die Herde von Schafen nach einem harten Winter endlich wieder nach draußen bringen kann. Da sind dann für einen kurzen Moment tatsächlich alle – der Hirte, der Hund und die Schafe – „im Himmel“.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/schafstage-im-karwendel-mit-den-mittenwalder-schaefern-2023