Fremont (2023)

Suche sehnlichst einen Traum

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Es gibt viele Wege, um filmisch von Einsamkeit zu erzählen. Der naheliegendste ist gewiss, auf melodramatische Effekte zu setzen und das Publikum dadurch traurig zu stimmen. Der finnische Autorenfilmer Aki Kaurismäki („Fallende Blätter“) und sein US-Kollege Jim Jarmusch („Night on Earth“) entscheiden sich in ihren Werken indes meist für eine Mischung aus Lakonie und leisem Humor, kombiniert mit einer deutlichen Formstrenge. Der iranisch-stämmige, in London lebende Regisseur Babak Jalali (Jahrgang 1978) ist klar vom Stil der beiden beeinflusst – was sich auch in seinem vierten Spielfilm „Fremont“ im besten Sinne bemerkbar macht.

Gemeinsam mit seiner Co-Autorin Carolina Cavalli schildert er darin den Alltag der afghanischen Geflüchteten Donya (Anaita Wali Zada), die einst in ihrem Heimatland als Übersetzerin tätig war und sich nun seit acht Monaten in der kalifornischen Stadt Fremont aufhält. Sie arbeitet in einer Glückskeksfabrik. Mit ihrer Kollegin Joanna (Hilda Schmelling) versteht sie sich gut; dennoch verbringt sie ihre Abende überwiegend allein. Als ihr im Betrieb die neue Aufgabe zukommt, die Botschaften auf den kleinen Zetteln in den hergestellten Keksen zu verfassen, hinterlässt Donya in einem Keks die Nachricht „Suche sehnlichst einen Traum“ mit ihrem Namen und ihrer Handynummer. Bald darauf meldet sich tatsächlich jemand bei ihr.

Die Schwarz-Weiß-Bilder und die langen Einstellungen, in denen die Kamerafrau Laura Valladao das ruhige Geschehen einfängt, sorgen für eine melancholische Atmosphäre. Die Kulissen, darunter das Mietshaus, in dem die Protagonistin mit anderen Geflüchteten lebt, sowie eine mäßig besuchte Gaststätte und Donyas Arbeitsplatz, sind eher von Kargheit geprägt. Die Absurdität vieler Situationen und die überaus stoische Art der Heldin verleihen der Tristesse wiederum den Witz, der Fremont bei aller Ernsthaftigkeit zu einer hervorragenden (Tragi-)Komödie macht. Jalali lässt die Schwere nicht verschwinden; er trotz ihr aber in einem beinahe rebellischen Akt etwas Amüsantes ab.

Dies zeigt sich zum Beispiel in den Therapiesitzungen, die Donya mit dem Psychiater Dr. Anthony (Gregg Turkington) hat. Hier kommen etliche biografische Hintergründe der Hauptfigur zur Sprache – etwa dass Donya als einziges Mitglied ihrer Familie aus Afghanistan flüchten konnte, weshalb sie jetzt unter einer Schlafstörung leidet. Um Donyas Schicksal zu verstehen, bezieht sich Dr. Anthony immer wieder auf die Abenteuerprosa von Jack London, die ihn zutiefst ergreift. Wie Donya darauf gewohnt zurückhaltend reagiert, ist ganz wunderbar – nicht zuletzt dank der Schauspiel-Entdeckung Anaita Wali Zada in der zentralen Rolle. Wenn die Fabrikkollegin Joanna hingegen ein Lied singt und dabei auch Donya die Tränen kommen, ist dies umso rührender.

Der Film vermeidet Kitsch – und wandelt sich in seinem letzten Drittel doch zu einer herrlich zarten Romanze. „Wann hattest du zum letzten Mal so richtig Herzklopfen?“, wird Donya an einer Stelle gefragt. Wenn der Kfz-Mechatroniker Daniel (toll: Jeremy Allen White) überraschend in ihr Leben tritt, kennen wir die Antwort – und lassen uns gerne auf die Magie dieser dezent funkelnden Indie-Perle ein.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/fremont-2023