In Water (2023)

Out of Focus

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Hong Sang-soos Filme sind seit jeher speziell – mit ihrer rohen Digitalästhetik, den manchmal unbeholfen wirkenden Kameraschwenks und Zooms, den improvisierten Dialogen und extrem reduzierten Plotlines. Und jetzt verliert der koreanische Regisseur auch noch seinen Fokus. Im wahrsten Sinne des Wortes: Die Bilder in seinem neuen Werk sind allesamt unscharf. Nicht nur knapp an einer präzisen Setzung der Schärfe vorbeigeschrammt, sondern komplett verwaschen. Wie eine lang zurückliegende Erinnerung. Wie ein impressionistisches Aquarellgemälde. Wie, wenn ich meine Brille abnehme.

Vielleicht hält sich Hong sein Publikum mit diesem Effekt ein Stück weit vom Leib, denn inhaltlich könnte der Film ihm persönlich kaum näher sein. in water - mit 61 Minuten Laufzeit sein bisher kürzester – erzählt von einem jungen Schauspieler (Shin Seok-ho), der beschließt einen eigenen Kurzfilm zu drehen. Mit einem in Nebenjobs verdienten Mikrobudget und zwei Kommilitonen (Ha Seong-guk und Kim Seung-yun) quartiert er sich für eine Woche auf der Insel Jeju ein, wo die drei auf der Suche nach Inspiration und dem richtigen Licht durch die Straßen streifen und am Strand entlang spazieren, unterbrochen von gelegentlichen Sandwichpausen. Sein kleines Team fragt den Regisseur gelegentlich, warum er kein richtiges Drehbuch verfasse. Seine Ideen seien so simpel, erklärt er ihnen daraufhin, dass es sich gar nicht lohne, sie aufzuschreiben.

Wohlgemerkt: Dabei verhindert Hong Sang-soos unscharfe Kamera (von der Bildgestaltung über die Montage und das Sounddesign hat er fast alles selbst gemacht) den Blick auf visuelle Nuancen. Es gibt in in water keine Gesichtsausdrücke, keine kleinen Gesten und Details zu sehen. Als sträubte sich der Regisseur, der abseits von seiner internationalen Gemeinde an Superfans in seiner Heimat Südkorea durchaus umstritten ist, endgültig gegen konventionelle Auffassungen von filmischer Qualität. Das Filmemachen wird bei ihm per se zu einem widerständigen Akt. Der Eindruck entsteht umso mehr, da man sich den Aufenthalt seiner Protagonisten auf der Urlaubsinsel Jeju nicht als vergnüglichen Trip vorstellen darf. Sie frieren bei Wintertemperaturen, kämpfen mit ihren künstlerischen Perspektiven, müssen Szenen mehrfach wiederholen und das Geld reicht nur für fettiges Fastfood.

„Warum muss das Leben so schwer sein?“, fragt der junge Regisseur gegen Ende und es drängt sich einem die Frage auf, warum er denn überhaupt Filme macht. Die Antwort scheint zu sein: Weil er nicht anders kann. Natürlich fließen nach all dem Quälen und Ringen irgendwann die kreativen Säfte und in typischer Hong-Manier blenden aufs Zarteste die erzählerischen Ebenen ineinander: Der Film im Film findet seinen Höhepunkt und somit auch in water. Genau das macht die ganze Angelegenheit so tieftraurig: Die inständig empfundene Melancholie auf der Leinwand lässt sich offensichtlich nicht losgelöst von ihrem Schöpfer betrachten. Damit wäre dann auch geklärt, wogegen sich Hong Sang-soos Widerstand richtet: gegen die Härte des Lebens selbst. Wie eine Schicksalsgemeinschaft, eine selbstgewählte Familienzelle steht das kleine Filmteam auf, um die letzte Szene zu drehen, geeint durch ein gemeinsames Ziel: „Lasst uns unser Bestes tun.“

 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/in-water-2023