Empire of Light (2022)

Zeig’ mir einen Film!

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Frisches Popcorn und Snacks im Foyer. Goldglänzende Absperrpfosten aus Edelstahl mit Kugelköpfen und roten Samtseilen vor den Saaltüren. Große Filmrollen, die auf ihren Einsatz warten. Ein riesiger Saal mit breiter Leinwand, in dem die vielen Lichter zu leuchten beginnen. Die Bilder, mit denen „Empire of Light“ anfängt, von erlesenen Detailaufnahmen bis zur Totale, lassen die Herzen cinephiler Menschen höher schlagen.

Wir befinden uns in Margate, einer Küstenstadt im Südosten des Vereinigten Königreichs, im Jahre 1981. Hier steht das Empire. Der imposante Filmpalast im Art-déco-Stil zeigt Werke wie All That Jazz von Bob Fosse, Blues Brothers von John Landis, Warum eigentlich… bringen wir den Chef nicht um? von Colin Higgins, Der Elefantenmensch von David Lynch und Willkommen, Mr. Chance von Hal Ashby.

Doch Hilary (Olivia Colman), die Foyermanagerin des Kinos, schaut sich die Filme selbst nicht an. Die sind fürs Publikum, nicht für sie. Schon hier unterläuft Empire of Light in zweifacher Hinsicht die Erwartungen, die an den Plot geknüpft sein könnten. Der 1965 im englischen Reading geborene Regisseur Sam Mendes, dem 1999 mit seinem Leinwanddebüt American Beauty auf Anhieb der Oscar-gekrönte Hollywood-Durchbruch gelang, erzählt in seinem ersten alleine verfassten Drehbuch nicht (direkt) von seiner eigenen Kinosozialisation, sondern stellt eine Frau mittleren Alters ins Zentrum. Diese ist wiederum keine Cineastin, sondern eine Person, für die das Lichtspielhaus ein einfacher Arbeitsplatz ist.

Wenn wir Hilary in ihrer Freizeit sehen, beim Essen oder in der Badewanne, wirkt sie apathisch. Deutlich fröhlicher mutet sie im Pausenraum an, wenn sie mit der Belegschaft beisammensitzt. Selbst beim Aufräumen nach einer Filmvorführung, bei der Beseitigung von verschüttetem Popcorn und Plastikmüll, kommt die Kameradschaft unter den Mitarbeitenden zum Ausdruck. Die Leichtigkeit verschwindet indes stets, wenn der Manager Donald Ellis (Colin Firth) Hilary in sein Büro ruft. Die beiden haben eine Affäre, bei der die emotionale und sexuelle Ausbeutung vonseiten des Chefs rasch erkennbar wird.

Als Stephen (Micheal Ward) als Kartenabreißer zum Team hinzustößt, entwickelt sich zwischen Hilary und dem Schwarzen jungen Mann eine zärtliche Beziehung. Mendes findet schöne Situationen, oft mutig nah am Kitsch, um die aufkeimenden Gefühle zwischen den beiden einzufangen. Mit dem Kameraveteranen Roger Deakins lässt er das Paar einen verlassenen Teil des Gebäudes, der inzwischen von Tauben bevölkert wird, erkunden. An Silvester stehen sie gemeinsam auf dem Dach und beobachten das Feuerwerk. Später folgt noch ein Strandausflug. All das könnte romantisch verklärt daherkommen, doch die Melancholie, die jeden Moment bestimmt, verhindert das. In anderen Szenen, etwa wenn das bunte Treiben in einer Rollschuhdisko mit ruhiger Musik unterlegt wird oder wenn die Kolleg:innengruppe den Jahrmarkt besucht, wird statt der Nostalgie eher die fragile Freundschaft und das flüchtige Miteinander gefeiert.

Empire of Light ist gewiss ein Film, der die Kinoliebe thematisiert – etwa wenn wir uns mit dem eigenbrötlerischen Norman (Toby Jones) in den Vorführraum begeben, der mit Fotografien von Hollywoodikonen ausgestattet ist, und dort etwas über die Kunst der Filmprojektion erfahren. Mehr noch ist das Werk allerdings eine Geschichte über zwei Menschen in der Thatcher-Ära, die mit Diskriminierung konfrontiert werden. Hilary ist psychisch krank – Mendes verarbeitet dabei Erlebnisse (mit) seiner Mutter, ohne allzu autobiografisch zu werden. Olivia Colman spielt die Höhen und Tiefen der Figur mit absoluter Hingabe. In einigen Sequenzen driftet Hilarys Erzählstrang etwas zu sehr ins Melodramatische ab, in die Gefilde von Tennessee Williams und Douglas Sirk, die nicht ganz zum restlichen Tonfall zu passen vermögen.

Ausgerechnet eine pompöse Galapremiere, bei der Hugh Hudsons Die Stunde des Siegers voller Stolz in Margate präsentiert wird, wandelt sich zu einem ersten Abend der hässlichen Wahrheiten. Bei einem späteren Aufstand von Skinheads, die ins Empire-Foyer eindringen, bricht dann endgültig die Wirklichkeit in die Welt der Figuren, nachdem Stephen bereits zuvor immer wieder Rassismuserfahrungen machen musste. Empire of Light ist kein eskapistischer Film. Er erzählt nicht von unerklärlicher Magie, sondern von einer klar nachvollziehbaren Illusion, der wir uns völlig bewusst hingeben können. „Zeig’ mir einen Film!“, heißt es gegen Ende. Und das ist keine Flucht, sondern eine Erkenntnis der Schönheit.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/empire-of-light-2022