Nightlife (2020)

Spaßverderber

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Manchmal reicht eine einzige Szene, um zu erkennen, dass ein Film die geweckten Erwartungen nicht erfüllen wird. Abends treffen sich in Berlin an einer Frittenbude ein Mann und eine Frau, beide tragen eine schwarze Augenbinde. Gehen sie auf eine hippe Kostümparty im Nachtleben, das der Filmtitel verspricht, oder haben sie dieses Erkennungszeichen für ihr erstes Date vereinbart? Nein, woher denn, diese Begegnung ist ganz einfach Zufall, ein doppelter Zufall! Milo (Elyas M‘Barek) und Sunny (Palina Rojinski) erkennen sich wieder, sie hatte neulich im Lokal, in dem er hinter der Bartheke steht, einen doppelten Eierlikör bestellt. Damals kamen sie nicht ins Gespräch, aber jetzt müssen sie doch lachen, haha, wegen der Augenbinden, die sind neu, beide haben sich nämlich unabhängig voneinander am Auge verletzt.

Wer meint, so etwas käme im richtigen Leben, ob in Berlin, in der Nacht oder überhaupt, nicht vor, der geht wohl zu kopflastig an diese romantische Komödie heran. Die eigenwillige Drehbuchidee sollte doch nur der Liebe auf die Sprünge helfen, den Beginn eines gemeinsamen Ausflugs zweier hungriger Herzen durch die Nacht markieren. Damit Milo und Sunny überhaupt Augenklappen tragen können, musste also erst Folgendes passieren: Milo bekam von seinem Buddy, WG-Mitbewohner und Barkeeper-Kollegen Renzo (Frederick Lau) als Ausdruck spontaner Freude einen Schmatzer verpasst. Dabei traf ihn Renzos Zunge ins Auge. Das mag unwahrscheinlich klingen, aber Renzo war vielleicht gerade wieder etwas berauscht, wie so oft. Auf jeden Fall war er thailändisch essen, und deswegen brennt Milos Auge.

Sunny wiederum war im Nachtleben zufällig dem peinlichen Womanizer und Möchtegern-Musikstar Steffen K (Stephan Luca) wiederbegegnet. Sie hatte sein Trio Die Bachelors kürzlich beim Vorsprechen in ihrem Büro eines Musiklabels als talentlos abserviert. Unbekümmert wollte er nun mit ihr feiern und stieß ihr versehentlich das Papierschirmchen seines Drinks ins Auge.

In dieser neuen Komödie von Regisseur und Drehbuchautor Simon Verhoeven geht es um ganz viele Dinge. Sie ist Buddymovie, Romanze und Gaunerkomödie. Vielleicht eifert sie im Geiste irgendwelchen filmischen Vorbildern nach, die einen auf einen bunten Trip aus Missgeschicken, Gefahr und Glück entführen, wie Superbad (2017) oder auch Karoline Herfurths Sweethearts (2019). Im Mittelpunkt stehen die zwei Buddies Milo und Renzo, die allmählich den Absprung aus dem Nachtleben in einen geregelten Alltag mit Familie und so schaffen wollen. Anstatt weiter als Barkeeper zu jobben, wollen sie einen eigenen Club aufmachen. Dafür brauchen sie einen Bankkredit, den sie aber nicht bekommen, weil Renzo vorbestraft ist. Er hatte einmal als Autokurier bei einem Drogendeal fungiert.

Renzo will nun auch ohne Bank an das nötige Geld kommen und macht wieder eine illegale Kurierfahrt. Dumm nur, dass ihm dabei das Auto samt Koks abhandenkommt. Bei Milo und Renzo klingeln drei russische Gangster. Ihr Anführer Sorokin (Mark Filatov) will von Milo – Renzo ist aufs Dach geflohen – die Drogen oder das Geld bis zum Mittag des nächsten Tages zurück. So beginnt eine abenteuerliche Gangstergeschichte mit weiteren Verwicklungen.

Parallel dazu verläuft die Romanze von Milo und Sunny. Er will sie, die aus beruflichen Gründen nach Atlanta zieht, davor noch zu einem Date überreden und schließlich überzeugen, seinetwegen zu bleiben. Sunny ist aber enttäuscht von „Typen aus dem Nachtleben“ und glaubt, auch Milo sei bindungsscheu. Doch plötzlich schweben auf der Straße wie Schneeflocken im Frühling die weißen Knäuel der Pappelsamen herab und Sunnys romantisches Herz klopft lauter. Sie willigt in das Abendessen ein, zu dem sich Milo dann natürlich wegen Renzo und den Gaunern verspäten wird.

Das Berliner Nachtleben kommt auch vor, beispielsweise findet eine Verfolgungsjagd durch einen Club statt. Doch die spannendsten Szenen gibt es dann auf einem privaten Spieleabend in einer Wohnung und bei einem Ausflug nach Brandenburg, am helllichten Tag. Wenn Renzo dort in eine Hütte am See einbricht und Milo hoch auf einem Baum aufpassen und ihn mit Uhurufen vor herannahenden Menschen warnen soll, ist man bereit, der Komödie noch eine Chance zu geben. Aber auch hier stimmt das Timing nur kurz, werden die Pointen alsbald klamaukig versemmelt.

Überall fehlt es an Dynamik und Schwung. Der russische Gangster blickt zu lange nur drohend drein, Milo und Sunny sind als Verliebte viel zu langweilig, Renzo zieht beim Besuch des Spieleabends, zu dem der spießige Bankberater Heiko (Leon Ullrich) eingeladen hat, eine gefühlte Ewigkeit nur eine einzige Grimasse des Leidens. Langgezogenen Momenten, in denen sich Witze wiederholen müssen oder in Schönheit sterben, steht dann ein ruckartiges Vorwärtsdrängen der Handlung gegenüber, das den Darstellern ein stark expressives Auftreten wie im Stummfilm abverlangt. Trotzdem gelingt es Elyas M‘Barek, seinen Milo oft etwas abwesend dreinschauen zu lassen.

Simon Verhoevens Komödie Willkommen bei den Hartmanns war 2016 der erfolgreichste deutsche Film. Da gab es lustige Szenen, Dialoge und Charaktere, die aus dem Leben gegriffen wirkten. Hier aber verdirbt die Mischung aus zähflüssigem Tempo und Klamauk den Zuschauer*innen den Spaß. Statt eines Kinobesuchs sollte man sich vielleicht lieber selbst ins Nachtleben stürzen und das Tanzbein schwingen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nightlife-2020