Der letzte Mieter (2019)

Auf verlorenem Posten

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Ursprünglich sollte Gregor Erlers unabhängig finanziertes Thriller-Drama "Der letzte Mieter", das seine Weltpremiere bereits 2018 bei den Hofer Filmtagen feierte, Ende März 2020 in die Kinos kommen. Die Schließung der Lichtspielhäuser wegen der Corona-Pandemie durchkreuzte jedoch die Pläne des Verleihers Dualfilm, der das Debütwerk nun einige Wochen nach der bundesweiten Wiedereröffnung der Filmtheater auf die Leinwände hievt. Vielleicht wird dem zwar nicht immer überzeugenden, angesichts der bescheidenen Mittel aber recht wirkungsvollen Spannungsstreifen jetzt, da sich im Kino noch keine Hollywood-Blockbuster tummeln, mehr Aufmerksamkeit zuteil als im Normalbetrieb. Zu wünschen wäre es den Machern allemal, da es deutsche Thriller-Stoffe generell sehr schwer haben, dem hiesigen Publikum ins Auge zu springen.

Ausgangspunkt der Handlung ist – ähnlich wie in David Nawraths eindringlich gespielter Charakterstudie Atlas – das in vielen Großstädten um sich greifende Phänomen der Gentrifizierung. Ganze Straßenzüge werden von Immobilienfirmen aufgekauft und sollen in topsanierten Wohnraum für zahlungskräftige Kunden umgewandelt werden. Die Menschen, die in den alten Häusern zuweilen einen Großteil ihres Lebens verbracht haben, müssen ihre Quartiere verlassen und mit dem Einzug in Sozialbauten Vorlieb nehmen. Ein solcher Schritt steht auch dem Rentner Dietmar (Wolfgang Packhäuser) bevor, der seine eigenen vier Wände allerdings nicht aufgeben will. Sein Sohn Tobias (Matthias Ziesing) möchte ihn zum Umdenken bewegen. Doch als er am Tag der Räumung bei seinem Vater vorbeischaut, kommt es im Beisein des Jungmaklers Franke (manchmal etwas wackelig: Moritz Heidelbach) zu einer Katastrophe. Zusätzlich angeheizt wird die explosive Lage durch das Auftauchen der Polizistin Shirin Kämper (Pegah Ferydoni) vor der Wohnungstür.

Die brodelnde Stimmung kündigt sich schon in den ersten Minuten an, wenn wir Tobias auf der Fahrt zu Dietmar begleiten. Der junge Mann, der für das Immobilienunternehmen, das seinen Vater aus dem Haus jagt, auf Zuruf als Klempner arbeitet, ist merklich gestresst. Nervös schwanken die Bilder aus dem Inneren seines Wagens. Und nicht wenige Einstellungen sind aus einer seltsam schrägen Untersicht gefilmt. Die Welt, das will uns Erler mit seiner Inszenierung und der unruhigen Kameraführung sagen, ist bereits vor der Konfrontation in Dietmars Wohnung aus den Fugen geraten.

Auch dann, als der verzweifelte Tobias den verletzten Franke in Schach hält, bleibt der Regisseur seinem direkten, unverstellten Ansatz treu. Nah rücken wir dem Geiselnehmer wider Willen auf die Pelle, sodass jeder emotionale Ausbruch in der zunehmend eskalierenden Situation mit Händen greifbar ist. In manchen Momenten muss man in puncto Glaubwürdigkeit vielleicht ein Auge zudrücken. Grundsätzlich schafft es der zumeist auf die zu räumende Wohnung und das direkte Umfeld begrenzte Film aber, ein beklemmendes Kammerspielgefühl zu erzeugen und mit einigen Handlungsschlenkern für kleine Überraschungen zu sorgen.

Wie schmerzhaft es ist, einen Ort verlassen zu müssen, an dem zahlreiche Erinnerungen hängen und der somit ein Stück der eigenen Identität ausmacht, streicht Erler wiederholt heraus. Unter die Haut geht neben dem verheerenden Streit zwischen Dietmar, Tobias und Franke auch ein offenherziges Gespräch, das der Protagonist mit der um Entschärfung bemühten Streifenbeamtin führt. Einblicke, die der Film gerne noch etwas häufiger hätte wagen können. Obwohl der Aufhänger der Geschichte – die Verdrängung angestammter Mieter im Zuge einer Luxussanierung – reichlich Diskussionsstoff bietet, legt Erler sein Hauptaugenmerk auf den Spannungsaufbau und geht thematisch nur selten in die Tiefe. Als Geiselnahme-Thriller mit sozialkritischen Untertönen ist Der letzte Mieter dennoch lohnenswert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-letzte-mieter-2019