Die Wiese - Ein Paradies nebenan (2019)

Expeditionen ins Tier (und Pflanzen)-reich

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zunächst meint man fast, Jan Haft habe von Das grüne Wunder - Unser Wald noch Schnittmaterial übrig gehabt, das irgendwie untergebracht werden musste. Denn statt - wie der Titel dies verheißt - auf einer sonnenbeschienen Wiese zu verweilen, schlägt sich der Naturfilmer erst einmal ins Gebüsch, beziehungsweise den Wald, um erst nach einer ganzen Weile den Schritt hinaus ins Sonnenlicht zu wagen. So ganz versteht man dieses Vorgehen nicht, allerdings lassen die omnipräsente Musik und der nicht minder prominente Off-Kommentar Hafts kaum Zeit, dieser Unstimmigkeit zum Auftakt allzu viel Beachtung zu schenken.

Der Film beginnt buchstäblich mit einem Knalleffekt. Als ein vermeintlicher Schuss durch den Wald hallt und die Tiere in Aufregung versetzt, meint man als Zuschauer_in genau zu wissen, dass hier ein Jäger auf der Pirsch ist. Nach einigen Momenten der Unsicherheit folgt aber des Rätsels Lösung und damit die Entwarnung für die aufgescheuchte Fauna: Ein Knallpilz aus der Familie der Kugelschneller verschießt seine Sporen mit solcher Energie, dass der Aufprall der ‚Geschosse‘ manchmal fast wie Gewehrfeuer klingt.

Überhaupt spielt der Kreislauf des Lebens, des Balzens, Paarens und Befruchtens eine wichtige Rolle in Jan Hafts Erkundungen auf der grünen Wiese: Mit spürbarer Freude an dem Erfindungsreichtum der Natur spürt er all den Tricks nach, mit denen verschiedene Pflanzen für die Verbreitung ihrer Samenkörner sorgen; den verschlungenen Pfaden, welche die Partnersuche und Zeugung von Nachwuchs in der Tierwelt nehmen.

Bisweilen fühlt man sich bei Die Wiese - Ein Paradies nebenan fast ein wenig an die alten FWU-Unterrichtsfilme erinnert, mit denen früher die Lehrer im Biologie-Unterricht sich und den Schülern die Zeit vertrieben (gibt es die eigentlich noch?). Wobei Haft sichtbar mehr zu bieten hat: Seine Makroaufnahmen sind ebenso schön anzusehen wie die Draufsichten und die Zeitraffer- und Zeitlupen, die er immer wieder einstreut. Im Umgang mit den verschiedenen Techniken hat es Haft mittlerweile zweifellos zu einer großen Meisterschaft gebracht - und so ist auch sein neuer Film eine echte Augenweide.

Dramaturgisch bietet Haft hingegen nicht viel neues. Der Film folgt mehr oder minder chronologisch der Abfolge der Jahreszeiten und begleitet beispielsweise ein Reh und dessen Zwillingskitze durch das Jahr. Auf diese Weise entsteht trotz der immensen Vielfalt an Flora und Fauna, die Haft vor die Kameralinse nimmt, so etwas wie ein erzählerisches Kontinuum, das Orientierung bietet innerhalb der beinahe schon enzyklopädischen Vielfalt, die vieles anreißt und nur weniges vertieft.

Allerdings ist genau diese Vielfalt und deren Bedrohung auch das zentrale Anliegen von Jan Haft, der sich aber zugleich vor monokausalen Schuldzuweisungen hütet. Wenn Landwirte das grüne Paradies lieber zu Äckern umpflügen und damit eine enorme Artenvielfalt des Lebensraums berauben (rund ein Drittel unserer Tier- und Pflanzenwelt nennt eine Wiese ihr natürliches Habitat), dann liegt das nicht allein an den Bauern, sondern ist vielmehr Symptom eines auch durch die Politik und die (Land)Wirtschaft gesteuerten systemischen Problems.

Die Wiese - Ein Paradies nebenan ist ein mitunter vielleicht etwas pathetisch geratenes, aber dennoch eindringliches Plädoyer für die Wunder der Natur, die quasi vor der Haustür liegen und kann durchaus nicht nur als Naturdokumentation, sondern auch als Familienfilm begriffen werden, der Kinder wie Erwachsenen das Staunen lehrt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-wiese-ein-paradies-nebenan-2019