I’m Thinking of Ending Things (2020)

Nabelschau eines viel zu guten Drehbuchs

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Als Autor von Filmen wie "Being John Malkovich" (1999), "Adaption" (2002) oder "Vergiss mein nicht" (2004) hat Charlie Kaufman eine beachtliche Karriere hingelegt und zuletzt gemeinsam mit Duke Johnson den beeindruckenden Animationsfilm "Anomalisa" (2015) gedreht. Mit "I’m thinking of ending things" erscheint nun seine erste Solo-Regiearbeit auf Netflix, basierend auf Iain Reids gleichnamigem Roman (2016). Kaufmans markantes Spiel mit komplex verknoteten Selbstreflexionen filmischer Erzählungen war in "Adaption" noch aufregend frisch und in "Vergiss mein nicht" von berührender Einfühlsamkeit. Nachdem er mit seinem ebenfalls in diesem Jahr erschienenen Roman-Debüt Antkind allerdings offenbar endgültig „in seinem eigenen Hintern verschwunden“ ist, bleibt die Frage: Gibt es am Ende des Regenbogens postmoderner Selbstumkreisung tatsächlich noch etwas zu entdecken?

I’m thinking of ending things begleitet eine namenlose Frau (Jessie Buckley) und ihren neuen Freund Jake (Jesse Plemons) inmitten eines Schneesturms auf dem Weg zu einem Abendessen bei seinen Eltern. Während der Autofahrt unterhalten die beiden sich über die Zeit und die Welt, über Kunst und das Schicksal. Bei Jakes Eltern angekommen, auf einer Farm im Nirgendwo, löst sich dann zunehmend jedes Gefühl für Raum und Zeit auf. Die Eltern (Toni Collette und David Thewlis) erscheinen seltsam bedrohlich und das Haus zieht die junge Frau immer tiefer in verschobene Zeitebenen. Die Gespräche kreisen erneut um Kunst und Identität und Erinnerung. Immer wieder sind dazwischen Bilder eines alternden Hausmeisters in einer High School zu sehen. Was sind Vergangenheit und Zukunft? Was ist die Wirklichkeit? Was ist real und woher wollen wir das wissen?

Vordergründig durchschreitet die namenlose junge Frau das Grauen jener angespannten Situation des ersten gemeinsamen Familienessens bei den Eltern eines neuen Partners: Mühsam, geradezu gewaltvoll muss sie Jakes Vater erklären, was es mit den düster-romantischen Gemälden auf sich hat, die sie in ihrer Freizeit malt; qualvoll wird sie von Jakes Mutter zu der ersten Begegnung der beiden ausgefragt; schließlich steigt sie in die verschachtelten Räume des Hauses hinab, in denen die Erinnerungen der Familie verborgen liegen. Im Wohnzimmer entdeckt sie ein Kinderfoto, das zugleich sie und doch auch Jake zu zeigen scheint, hinter der Beschriftung „Jake’s Childhood Bedroom“ findet sie sein erhaltenes Kinderzimmer und im Keller stößt sie auf verdrängte Zeichen, die einen Hinweis darauf geben könnten, was es mit der Identität Jakes eigentlich auf sich hat.

Die Sequenz bei Jakes Eltern gehört zu den wenigen Höhepunkten, denen I’m thinking of ending things ausreichend Raum zur Entfaltung gibt. Allein durch die überragende Leistung der vier Darsteller*innen gelingt es der Szene am Esstisch, zwischen den Figuren eine intensive Energie aufzubauen, die schließlich kaum noch auszuhalten ist und sich in den auffaltenden Räumen von Vergangenheit und Zukunft entlädt.

Über weite Strecken, im Auto auf dem Weg zum Elternhaus und auf dem Weg zurück in die Stadt, bleibt der Film bei den Gesprächen zwischen Jake und seiner neuen Freundin in der schneestöbernden Nacht. Die Enge des Bildformats, die schnell geschnittenen Wechsel zwischen den beiden Figuren und der überbordende Schwall ihrer immer neuen Gesprächsthemen durschreitet die ganze Breite großer Fragen. Es geht um das Wesen der Zeit, die Möglichkeit von Kunst, dieses Wesen zu ergründen und um die Bedingungen menschlicher Erfahrung, die vielleicht, genau wie die Bedingungen der Kunst, gerade darin liegen, nie auf eine objektive Realität zugreifen zu können, sondern immer nur subjektive Innerlichkeit zu erzeugen.

Was also gibt es noch zu entdecken, in diesem selbstreflexiven Kreisen eines Films, der vor allem mit sich selbst und seinen künstlerischen Möglichkeiten als Film beschäftigt ist? Das Problem der Überforderungsdramaturgie, die I’m thinking of ending things in seinem Textozean entwickelt, liegt gerade darin, kaum wirklich Fragen zu stellen und offen zu lassen, welche Gedanken sich daraus ergeben könnten. Als würde der Film beständig darum fürchten, dass seinen Zuschauer*innen die ganze Brillanz seiner Überlegungen und Formspiele entgehen könnte, wird jede Wendung und jede zu entdeckende Anordnung wörtlich ausgespielt. Erscheint es im Haus von Jakes Eltern durch die eigenartig vorausgreifenden Kamerabewegungen so als würde der Film selbst die Gegenstände und Räume den inneren Zuständen der Figuren anpassen? Ein interessanter Gedanke, aber falls jemand diesen (mittelmäßig) gelungenen Kunstgriff nicht bemerkt hat, folgt sogleich ein Gespräch über die Art und Weise, wie Kunst innere Zustände ausdrücken kann. – Erinnert die Inszenierung der Familiensituation an die höchst aufgeladenen Familiensituationen in den Filmen von John Cassavetes? Wer hätte es gedacht: Ein paar Szenen später folgt ein ausgiebiges Gespräch zwischen Jake und seiner Freundin, in dem sie Eine Frau unter Einfluss (1974) und dessen Inszenierung von familiären Situationen diskutieren.

Die Liste des lustigen Zitatewerfens ließe sich lange fortsetzen. Das Ärgerliche an I’m thinking of ending things ist die Penetranz, mit der die Referenzen ausbuchstabiert werden, und die ihren ermüdenden Höhepunkt erreicht, als Jake in einem quälend dahinschleichenden Gespräch aus einem David Foster Wallace-Essay über das US-Fernsehen zitiert und seine Freundin mit einem Verweis auf Guy Debords Gesellschaft des Spektakels darauf antwortet. Anstatt die Dynamik der beiden Figuren zu erkunden und das Verwirrspiel um ihre Identitäten über eine völlig uninteressante und leicht zu ergründende Mehrdeutigkeit hinaus zu gestalten, kommt es dem Film eher darauf an, seine eigene Literaturliste mitzubringen und stolz daraus vorzutragen. Jessie Buckley und Jesse Plemons geben sich größte Mühe, gegen die Nabelschau dieses Drehbuchs anzuspielen, das dann aber viel zu gerne selbst im Mittelpunkt stehen möchte.

Der Film ähnelt darin Darren Aronofskys mother! (2017) nicht nur thematisch: Auf der einen Seite stellt Kaufman seine außerordentliche handwerkliche Begabung unter Beweis – auf der anderen Seite führt das in keiner Weise zu einem gelungenen Film oder zu interessanten Gedanken. Das Ausstellen der Fähigkeit, verschachtelte und reflexive Erzählungen zu entwerfen, die dicht angereichert sind mit Querverweisen auf den eigenen Film, auf Kunst und Theorie, führt vor allem dazu, dass der Film jedes Ziel außerhalb dieser Selbstdemonstration aus den Augen verliert. Was ein fesselnder und komplex arrangierter Thriller über die Innerlichkeit oder Äußerlichkeit von Subjektivität und Erfahrung hätte sein können, wird zu einer Fingerübung, die sich nur durch die herausragende Intensität ihrer Darsteller*innen stellenweise rettet.

Der Verriss, den Jessie Buckleys Figur zu Eine Frau unter Einfluss vorträgt, ist für I’m thinking of ending things so treffend, dass es für Kaufmans filmisches Spiegelkabinett nur angemessen erscheint, dem Film selbst sein eigenes Fazit zu überlassen. Eine Selbstreflexion, eingeschachtelt in eine kritische Reflexion, zitiert in einer Kritik über diese Reflexion – besser wird es nicht: „The idiot symbolism is enough to make you want to hoot, but this two-hour and 35-minute movie leaves you too groggy to do more than moan.“

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/im-thinking-of-ending-things-2020