Papst Franziskus - Ein Mann seines Wortes (2018)

Ein Mann schöner Worte

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Von all den Filmen, die in Cannes die Lage der Welt im Allgemeinen und Probleme der Gesellschaft im Besonderen kritisch beleuchteten, war Wim Wenders’ einer der besten. Wo Jean-Luc Godards Le Livre D’Image in krudem Genuschel zur Kunstinstallation erstarrte und Daniel Cohn-Bendits Dokumentarfilm La Traversée auf halber Strecke, nämlich mitten im Porträt der französischen Arbeiterklasse, stecken blieb, da setzt Wim Wenders eine Person vor die Kamera, die schon qua Position mit den letzten großen Wahrheiten aufwartet: Papst Franziskus.

Wenders hat ihn für seinen Dokumentar-Porträtfilm Papst Franziskus - Ein Mann seines Wortes über einen längeren Zeitraum begleitet und mehrere Interviews mit ihm geführt. Das Bild, das von dem Mann gezeichnet wird, fällt dabei sehr wohlwollend aus. Das ist auch nicht schwer, ist dieser Papst doch einer der liberalsten, den die katholische Kirche in den vergangenen Jahrhunderten gewählt hat. Wenders zeigt den Mann aus Argentinien beim Besuch von Krankenhäusern in Afrika, Schulen in Südamerika, Gefängnissen in Süditalien. Er wird sehnsüchtig erwartet, umjubelt und regelrecht angebetet. All das nimmt er mit Ruhe und Gleichmut hin, hat immer ein Wort, eine Geste, einen Blick für die Bedürftigen übrig. Wenders zeichnet so das Bild eines Mannes, der sich mit gütigem Lächeln um die Armen, Kranken und Kinder sorgt, dessen Kraft aus einer inneren Ruhe gespeist wird, die man nur erreicht, wenn man die großen Fragen des Lebens für sich beantwortet hat.

Franziskus predigte bereits, als er noch Jorge Mario Bergoglio hieß, die Lehre einer armen Kirche, die keine Reichtümer anhäufen, sondern sich um die Benachteiligten der Welt kümmern sollte. Er ist seit Jahrzehnten Jesuit und nahm nicht ohne Grund als erster Papst in der Geschichte der katholischen Kirche den Namen eines Gelehrten und Heiligen an, der ebenjene Ideale vertrat, den des heiligen Franz von Assisi.

Die erste und wichtigste Regel, auf der er seine Lehre als Papst gründet, vertritt er auch im Interview mit Wenders: „Nur wer eine Leere im Herzen trägt, wird versuchen, sie mit Reichtümern zu füllen“, sagt er. Und: „Solange die Kirche ihre Hoffnungen auf Reichtümer setzt, hat Jesus dort keinen Platz.“ Dass der Papst diese Idee selbst lebt, weiß man aus zahlreichen Presseberichten. Wenders zeigt ihn zur Sicherheit aber auch noch einmal, wie er beim Besuch in Washington zwischen all den großen amerikanischen Wagen mit einem kleinen Hybridauto vorfährt. Oder wie er einem Mädchen bei der öffentlichen Audienz in Rom erklärt, warum er auf das große Apartment verzichtete, das seine Vorgänger bewohnten.

Was die eigentliche Person hinter dem Amt des Papstes ausmacht, erfährt man kaum. Wenders Film ist eben doch kein klassisches Porträt. Vielmehr konzentriert er sich darauf, die Ideen aufzuzeigen, die den mächtigsten Mann der katholischen Kirche ausmachen. Wenders geht nacheinander all die Punkte durch, die die Lehre Papst Franziskus’ begründen. Das Vorgehen ist dabei meist gleich: Er lässt ihn erst im Interview seine Gedanken äußern und zeigt danach Bilder der Krisen, die er anspricht. Meistens schließt er das mit Aufnahmen von einem Besuch des Papstes vor Ort des Geschehens ab. So sind die Sorgen Franziskus’ wegen der Umweltverschmutzung mit Bildern von Plastikteppichen auf dem Pazifik und Müllsammlern in Afrika unterlegt. Danach sieht man den Papst beim Besuch der Region. Das ist nicht sonderlich innovativ, muss es für die Botschaft, die er transportieren will, aber auch nicht sein.

Wenders setzt vollkommen auf das Charisma und die Gravität seines Protagonisten. Jede Aufnahme ist eine Beweisführung, dass der Papst tatsächlich „Ein Mann seines Wortes“ ist, wie der Untertitel des Films ankündigt. Gleich am Anfang sagt Franziskus: „Man sollte den Menschen immer in die Augen schauen, wenn man mit ihnen redet.“ Wenders nimmt das wörtlich und positioniert seine Kamera während der Interviews so, dass der Papst mittig im Bild sitzt und den Zuschauer direkt anblickt, während er spricht. Dieses konstante Brechen der vierten Wand gibt dem Dokumentarfilm einen manipulativen Zug. Den hätte Wenders überhaupt nicht nötig. Das Thema seines Films trägt allein schon genug, um den Zuschauer davon zu überzeugen, dass der Mann gut ist und eine Botschaft hat, der zuzuhören sich lohnt. Wer würde auch dessen Ideen des Miteinanders, der Nächstenliebe, der Verantwortung für die Welt und eines Verzichts auf sinnlosen Konsum sofort wild widersprechen wollen?

Widerspruch möchte man allerdings gegen die kurzen erzählerischen Einschübe einlegen, in denen das Leben des heiligen Franziskus von Assisi gezeigt wird. In schwarz-weißen Aufnahmen, die durch nachträglich hinein retuschierte Flecken und Störungen wohl an Bilder aus der Stummfilm-Zeit erinnern sollen, stellt ein Schauspieler Szenen aus dem Leben des Heiligen nach. Dabei schaut er ausdrucksstark in mittlere Distanz, während er seine Feder in ein Tintenfass taucht und ein Gedicht schreibt. Das dies ein Blick ist, den wohl nur Sarah Jessica Parker als Carrie Bradshaw glaubwürdig hinbekommt, ist so eine Erkenntnis, die man beim Zuschauen hat. Und das sollte wohl nicht der Gedanke sein, der einen in einem Film über die großen Weltprobleme länger als drei Minuten beschäftigen dürfte. Allerdings versucht der Assisi-Darsteller den Blick eben bei jeder Gelegenheit, ob es das kontemplative Vorbeigehen an einer Bergquelle ist oder die Wanderung durch ein lichtes Wäldchen.

Warum sind diese Einschübe zum Leben des Heiligen überhaupt in diesem Film? Wollte Wenders zeigen, dass Franziskus’ ein längst vergangenes Reformvermächtnis in der Kirche weiterführt? Wollte er den neuen Papst selbst in eine Reihe mit dem Heiligen stellen, ihm eine Zukunft vorhersagen, seine Ideen mit noch mehr visionärer Bedeutung aufladen? Allein, das Verknüpfen mit Assisi hätte es dafür gar nicht gebraucht. Die Person des Papstes genügt, um die Faszination zu verstehen, die von diesem Mann ausgeht. Franziskus seinerseits nutzt die Dokumentation als schlaues Instrument, seine Lehre sympathisch herüber zu bringen. Was im Gewand eines Porträtversuchs über die Person des Papstes beginnt, ist am Ende eben mehr eine Gelegenheit für das Kirchenoberhaupt, seine Lehre zu propagieren. Man versteht, warum sich so viele, gerade in den Entwicklungsländern, in diesen unruhigen Zeiten an ihm orientieren und ihn feiern. Die Welt und die Gesellschaften um sie herum, haben sie verlassen und vergessen. Franziskus mit seiner Botschaft ist das, woran sie sich festhalten können. Ein letztes Stück Hoffnung.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/papst-franziskus-ein-mann-seines-wortes-2018