Hagazussa - Der Hexenfluch (2017)

Das Schweigen der Wälder

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Alpen im 15. Jahrhundert: Dort droben in der Abgeschiedenheit der Berge herrscht keine Idylle, sondern ein brutaler Überlebenskampf, dessen Opfer vor allem Frauen sind – und zwar vor allem, wenn sie alleine leben, ohne Männer, und damit allzu gerne misstrauisch beäugt, ausgegrenzt und drangsaliert werden.

Die kleine Ziegenhirtin Albrun (Cecilia Peter) und ihre Mutter (Claudia Martini) erfahren das immer wieder am eigenen Leibe. Und dass das Mädchen und seine Mutter selten in der Kirche zu sehen sind, macht die ganze Angelegenheit noch verdächtiger. Dann erliegt Albruns Mutter einer Krankheit (der Pest womöglich) und das Mädchen, das noch keine zehn Jahre alt ist, bleibt alleine zurück und schafft es doch irgendwie zu überleben. Später hat sie ein Kind – von wem, das lässt der Film völlig offen –, findet für kurze Zeit eine Freundin, muss eine Vergewaltigung verkraften, bis sie, die eh schon zurückgezogen Lebende, schließlich ganz aus der Welt gleitet. Denn die Ächtung, die bereits ihre Mutter erfahren musste, macht auch ihr zu schaffen; sie verliert sich immer mehr in einem Netz aus bitterer Armut, sozialer Ausgrenzung, Aberglauben und Wahn, der schließlich genau das aus ihr zu machen scheint, was ihr eh schon nachgesagt wird – eine böse Frau, eine Hagazussa (althochdeutsch für „Hexe“).

In vier Kapitel mit den Überschriften „Schatten“, „Horn“, „Blut“ und „Feuer“ eingeteilt, erzählt Lukas Feigelfeld in seinem Abschlussfilm an der DFFB eher fragmentarisch und assoziativ, mit dröhnendem Score (von der griechischen Drone-Formation MMMD) und hypnotisch verschleppten Bildern die Geschichte einer Ausgrenzung. Mutig ist die Verortung des Films nicht nur wegen der Gestaltung, die immer wieder repetitive Momente und Loops einbaut, die vom imposanten Soundtrack aufgenommen und variiert werden, sondern auch, weil der Film auf einem schmalen Grat zwischen Psychodrama und Horrorfilm balanciert und damit tendenziell Erwartungen unterläuft (und damit „enttäuscht“).

Zwar gibt es immer wieder explizite Schockmomente, doch diese sind sehr spärlich eingesetzt und bilden keinesfalls die Quintessenz eines Filmes, der stellenweise an Werke von großen Meistern des Kinos wie Andrej Tarkowskij und Bela Tarr erinnert. Die drastischen Momente zeichnen sich zudem vor allem dadurch aus, dass sie keinen von außen kommenden Horror schildern, sondern vielmehr bildmächtige Symbole dessen sind, was in Albrun vor sich geht, es sind Somatisierungen von Geisteszuständen, Externalisierungen von Wahnvorstellungen und sichtbare Spuren eines langsamen geistigen Verfalls.

Überhaupt ist Hagazussa ein überaus körperlicher Film: Blut und Innereien, Kotze und Pestgeschwüre bilden einen Angriff auf den Zuschauer, der von den teilweise sehr nahen und kargen Bildern und dem Dröhnen des Soundtracks unterstützt wird. Lukas Feigelfeld erzählt nicht nur von Körpern – auch sozialen –, sondern auch mit ihnen und gegen sie. Sein Film ist in vielerlei Hinsicht ein Frontalangriff: auf die Sinne, die Erwartungen des Zuschauers und nicht zuletzt auf unsere Empathie und unser Gerechtigkeitsempfinden: Am Ende wird Albrun wie in einer self-fulfilling prophecy all das erfüllen, was man ihr zuvor nachsagte: Sie wird ein Kind töten, eine Seuche verursachen und im Feuer enden. Welch bittere Volte, welch trauriges Schicksal.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/hagazussa