Professor Marston & the Wonder Women (2017)

Wonder Woman – The Original Origin Story

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Nein, dies ist kein weiterer Superheldinnenfilm – zumindest nicht im engeren Sinn. Aber Professor Marston and the Wonder Women erzählt eine Geschichte, die an Superheldenstorys denken lässt: Drei mutige Menschen stehen ein für sich und ihre Liebe, wenngleich sie dafür ein Leben im Verborgenen führen müssen – und jeder, der genau hinsieht, ihre Lügen und ihr Doppelleben enttarnen könnte. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Diese Geschichte hier ist tatsächlich passiert.

Cambridge in den späten 1920er Jahren. Professor William Moulton Marston (Luke Evans) unterrichtet junge Frauen in Psychologie. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf seiner DISC-Theorie, ein Persönlichkeitstest mit vier Merkmalen (Dominance, Inducement, Submission, Compliance), der sich – vereinfacht gesagt – mit Dominanz und Unterwerfung beschäftigt. Mit seiner Ehefrau Elizabeth (Rebecca Hall), deren Psychologie-Karriere von den patriarchalen Strukturen verhindert wird, erforscht er menschliches Verhalten und arbeitet zudem u.a. an einem Lügendetektor. In seinem Seminar ist auch die Studentin Olive (Bella Heathcote), die auf den ersten Blick wie die schöne, blonde, bürgerliche Tochter wirkt. Sie wird ihre Assistentin werden, gemeinsam bringen sie den Lügendetektor entscheidend voran. Aber nicht nur das: Sie verlieben sich ineinander und führen schließlich eine gleichberechtigte polyamouröse Beziehung – mit Kindern. Später entdecken sie zudem Bondage und BDSM. Außerdem sind es diese beiden Frauen, ihr gemeinsames Leben und seine Überzeugung, dass Frauen den Männern moralisch überlegen sind, die William Moulton Marston dazu bringen, eine Comic-Heldin zu entwickeln, die heute unter dem Namen Wonder Woman weltbekannt ist.

Professor Marston and the Wonder Women verbindet die Lebensgeschichte der Marstons mit der Entwicklung und Rezeption der Figur Wonder Woman. Dazu flicht Angela Marston in ihrer Erzählung von der Genese der Figur immer wieder Hinweise auf die Superheldin ein – seien es die Armbänder, die Olive trägt und die zu Markenzeichen von Wonder Woman werden, der Lügendetektor, der an ihr magisches Lasso erinnert, oder ihr Kostüm. Außerdem wählt sie als Rahmen der gesamten Erzählung eine Anhörung, in der Marston seine Figur und Comics gegen Josette Frank (Connie Britton) von der Child Study Association of America verteidigen muss, die den vielen Sex und die Fesselungen verbieten lassen will. Diese Anhörung ist ein Vorbote des Vorgehens von Dr. Frederic Wertham, der Wonder Woman als „cruel, phallic woman“ verurteilte – und hierin deutet sich die schwierige Geschichte Wonder Womans an, die immer wieder thematisch und motivisch eingeschränkt wurde, weil sie zu provokant, zu kinky, zu feministisch war.

Es ist dieser Nebenstrang, der beständig und sehr wohltuend daran erinnert, dass Marston leidenschaftlich überzeugt sein Ideal verfolgte, dass Frauen irgendwann die Welt zu einem besseren Ort machen, weil sie die besseren Herrscher sind. Vor allem aber erzählt Angela Robinson die Entstehung von Wonder Woman als eine Liebesgeschichte. Deshalb rückt sie die Beziehung zwischen William, Elizabeth und Olive in den Mittelpunkt. Es sind vor allem die Blicke, die sie einander zuwerfen, die von vorneherein zeigen, dass sie Gefallen aneinander finden. Sie werden immer wieder sagen, was sie sich lange nicht auszusprechen wagen. Hier kann sich Angela Robinson auf ihre hervorragenden Hauptdarsteller_innen verlassen, unter denen insbesondere Rebecca Hall heraussticht: Sie ist witzig, klug, beherrscht und dominant, sie ist eine brillante Frau, mit der man befreundet sein möchte und zu der man sich hingezogen fühlt. Anfangs ist sie wie ein Gegenpart zu Olive, die sich auf andere Weise als starker Teil dieser Beziehung entpuppt. Dabei überzeugen alle drei mit ihrem Zögern, mit ihren Versuchen, der Wahrheit über ihre Liebe auszuweichen. In ihrem Zusammensein und auch in den Sex-Szenen wird deutlich, dass sie eine gleichberechtigte Beziehung zu dritt führen. Hier gibt es keinen Voyeurismus, keine Bewertung, sondern schlichtweg einvernehmlichen Sex. Dabei kommt Angela Robinson in ihrer Erforschung der Beziehung auch immer wieder auf Marstons DISC-Theorie zurück, denn hier lassen sich Dominanz, Anregung, Unterwerfung und Zustimmung finden.

Damit gelingt Professor Marston and the Wonder Women etwas Wundervolles: Der Film hat alle Zutaten eines Films, der in den 1940er Jahren spielt, die Kleidung, die Frisuren, die Fedoras, die Autos. Er hat den gefühligen Sound eines Arthouse-Filmes, er wählt konventionelle Erzählmuster und Bildrahmen. Und doch erzählt er eindrucksvoll von Feminismus, Polyamorie und Kink.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/professor-marston-the-wonder-women-2017