Graffiti Artist

Rupture the System

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Kritzeleien in Wort und Bild an öffentlichen Gemäuern sind uns bereits aus der Antike bekannt, doch was die Straßenzüge von New York in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts einem bunten Ausschlag gleich befiel, ist heute als Graffiti-Kunst ein fester Bestandteil des urbanen Raums überall in der Welt, sei es als sorgfältig ausgeführte Auftragsarbeit oder illegal gesprühte Absage an die städtische Ordnung.

Der jugendliche Nick (Ruben Bansie-Snellman) ist an sich ein unauffälliger Anhänger der Hip-Hop-Subkultur, der in lässigem Oversized-Outfit mit seinem Skateboard allein durch die Straßen von Portland vagabundiert, doch in nächtlichen Aktionen hinterlässt er seine subversiven Botschaften in Form von Tags (Schriftzüge, Signaturkürzel als Pseudonyme der Sprayer) und Graffiti an Häuserwänden und Eisenbahnwaggons, ganz im Sinne seiner erwählten Weltanschauung: „Rupture the System“.

Seine Isolation bröckelt, als Nick auf den Sprayer Jesse (Pepper Fajans) trifft, dessen Tags er fasziniert bis nach Seattle folgt, wo sich zwischen den beiden jungen Künstlern mit sehr unterschiedlichen Styles eine zaghafte Verbindung entwickelt, die sich zunächst auf gemeinsame Streifzüge und Graffiti beschränkt. Scheint Jesse auch eher auf Mädchen zu stehen, so verführt er schließlich den scheuen Nick, der längst auch erotisch von ihm angezogen wird. Als Jesse sich kurz darauf wieder allein absetzt, folgt Nick ihm erneut, ebenso verwirrt wie verletzt. Bei ihrem Wiedersehen zeigt sich, dass die Spannungen zwischen ihnen sowohl persönlicher wie auch künstlerischer Natur sind. Während Jesse sein Schaffen gern im professionellen Kunstbetrieb etablieren will, verfolgt Nick rigoros ein unangepasstes Dasein als Verfechter der „freien Kunst“ - ihre Freundschaft zerbricht an ihren unterschiedlichen Weltanschauungen.

Erneut als Einzelkämpfer unterwegs setzt Nick seine Enttäuschung und seinen Idealismus in Form eines ganz besonderen Graffitis um, wird allerdings während der Aktion von der Polizei erwischt. Da dies nicht das erste Mal ist, wird Nick für vier Monate im Jugendknast eingebuchtet. Doch die bitteren Erfahrungen lassen ihn nicht resignieren: Er beschließt, sein Kunstwerk zu beenden.

Bedeutet Graffiti für die meisten Leute nur eine ärgerliche Schmiererei, deren Beseitigung nicht unerhebliche Kosten verursacht, so hat sich die legale Variante doch längst als Kunstrichtung etabliert. Namhafte Künstler wie der New Yorker Keith Haring oder der Deutsche DAIM haben wesentlich dazu beigetragen, dass die opulenten Sprühereien gesellschaftsfähig geworden sind. Mittlerweile gibt es in den Städten zahlreiche Projekte gemeinsam mit Sprayern, die an genehmigten Spots ihre Kreativität aus Dosen versprühen können. Doch auch diese Maßnahmen zur Kanalisierung der zuvor unerwünschten Aktivitäten können nicht verhindern, dass nach wie vor eine illegale, strafrechtlich zunehmend verschärft verfolgte Subkultur existiert, die wider den Mainstream ihre eigene, unzensierte Botschaft in den Straßenzügen der Städte hinterlässt, sei es aus dem Bedürfnis nach künstlerischer Freiheit, Provokation oder schlichter Freude am heimlichen Markieren ihres Territoriums. Kenner der Szene wissen um den Reiz gerade verbotener Aktionen, und die Sprayer selbst kommunizieren über ihre Tags miteinander und wetteifern nicht selten um besonders schwierige Lokalitäten, die ihnen den Respekt ihrer Mitstreiter sichern. Fortlaufende Schwierigkeiten zwischen den künstlerischen Rebellen und der Staatsmacht sind da unausweichlich. Während der Dreharbeiten wurde beispielsweise in Portland, Oregon ein Gesetz beschlossen, das das illegale Sprühen von Graffiti mit einer sofortigen Gefängnisstrafe ahndet.

Regisseur Jimmy Bolton katapultiert uns mit seinem Film The Graffiti Artist in die Welten der Tagger- und Graffiti-Szene. Gesprochen wird wenig, denn Bolton inszeniert die Konflikte um die persönliche und künstlerische Identität Nicks direkt über die Kunst und eine intensive Bildsprache, die atmosphärisch von der eindringlichen Musik Kid Locos getragen wird, der mittlerweile über Punk beim Trip Hop gelandet ist.

The Graffiti Artist spielt an denselben Schauplätzen wie My Private Idaho von Gus Van Sant, der seinem einstigen Schüler Bolton geradezu lyrische Bilder in der Qualität eines Ingmar Bergmans zugesteht. Nach seinem Debüt mit Growin Up And I´m Fine, der 1991 auf der Berlinale präsentiert wurde, und Eban and Charley (2000) legt Bolton nun seinen dritten Spielfilm vor, der neben einem beeindruckenden Blick in eine filmisch wenig repräsentierte Subkultur und einer wachen Reflektion über umstrittene, urbane Kunst auch eine durchaus romantische, zarte Liebesgeschichte zweier Jugendlicher ist. Und diese wird hervorragend von den beiden Hauptprotagonisten verkörpert, deren Spiel eine schweigsame Intensität erreicht, an die Worte nicht reichen können.

Graffiti Artist gewann beim Silverlake Film Festival 2004 den Preis für den besten Darsteller mit Ruben Bansie-Snellman als Nick und den \"Narrative Feature Sound Award\" des Austin Film Festivals 2005. In den deutschen Kinos wird er im Original mit Untertiteln zu sehen sein. Gespannt dürfen die Reaktionen auf den Film aus der Szene selbst hier zu Lande erwartet werden- befinden die Sprayer ihn als cool, darf James Bolton endgültig zu seiner authentischen Inszenierung ihres Lebensgefühls über kulturelle Unterschiede hinweg gratuliert werden.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/graffiti-artist