Rohtenburg

Pure Effekthascherei

Eine Filmkritik von Gesine Grassel

Vor vier Jahren schockte die Tat von Armin Meiwes, dem Kannibalen von Rohtenburg, die deutsche Öffentlichkeit. Nachdem er einen Bekannten entmannt hatte, aß Meiwes die über 20 Kilogramm Fleisch seines Opfers. Auf der Suche nach dem nächsten Tötungswilligen ging der 44-Jährige der Polizei ins Netz. Er kam vor Gericht, zunächst lautete die Anklage auf Todschlag und Meiwes wurde verurteilt. Wenig später wurde das Urteil wieder aufgehoben. Der Prozess läuft momentan zum zweiten Mal. Pünktlich zum Prozessauftakt kündigte Senator-Film den Start des Hollywoodfilms Rohtenburg an. Meiwes versuchte eine einstweilige Verfügung zu erwirken, was vom Landgericht Kassel abgelehnt wurde. Somit steht dem pünktlichen Kinostart der oberflächlichen und an Effekthascherei orientierten Inszenierung über die Geschehnisse aus dem Jahr 2001 nichts mehr im Wege.
Soweit die Vorgeschichte. Viel Rummel um einen Film, der ohne die beschriebene aktuelle Brisanz nach ein, zwei Wochen von den Leinwänden verschwunden wäre. Denn wie man es auch dreht und wendet – der Eindruck der 90 langen Filmminuten lässt sich nicht beschönigen. Das Spielfilmdebüt des US-Amerikaners Martin Weisz stolpert vor sich hin und bleibt allenfalls durch einige Schreckensmomente im Gedächtnis. Der Regisseur versuchte sich an einer künstlerischen angehauchten Umsetzung der Ereignisse und verband die Geschichte des Kannibalen mit einer neuen Rahmenhandlung. Die amerikanische Studentin Katie Armstrong (Keri Russel) studiert Kriminalpsychologie und kommt für ihre Abschlussarbeit nach Deutschland. Im Internet ist sie auf den spannenden, gleichsam fürchterlichen Fall von Kannibalismus gestoßen. Sie will herausfinden, was Oliver Hartwin (Meiwes-Darsteller: Thomas Kretschmann) zu einem der grausamsten Morde der deutschen Vergangenheit trieb. Hertwin war in einem Internetforum für Kannibalismus auf Simon Grombek (Bernd Jürgen B.-Darsteller Thomas Huber) gestoßen, der sein Leben freiwillig für die minutiöse und präzise geplante Verstümmelung hergeben wollte. Die Amerikanerin findet Indizien für die isolierte und völlig verstörte Existenz Oliver Hartwins, der unter der dominanten Mutter zu einem psychisch gestörten Mann heranwuchs, der immer mehr von Gewaltfantasien verfolgt wurde. Am Ende wird der jungen Amerikanerin ein Video des Tötungsaktes zugespielt, an dem sie innerlich fast zerbricht. Auf dem Band hat Hartwin die letzten Stunden im Leben von Simon Grombek festgehalten.

Der wahre Kannibale Armin Meiwes fühlt sich von den Medien hintergangen. Er hatte einer Hamburger Firma die Rechte an seiner Geschichte für einen Dokumentarfilm überlassen. Der vorliegende Spielfilm verletze seine persönliche Würde, er fühle sich unverstanden und falsch portraitiert. Ungeachtet dieser Fakten versucht der Film von Martin Weisz, der durch wahre Ereignisse inspiriert wurde, die grausige Geschichte auf zwei Ebenen zu erzählen. Auf der einen Seite sieht der Zuschauer die amerikanische Studentin, die sich in der Gegenwart auf Spurensuche begibt. Auf der anderen Seite vermischt Weisz die Leben des Kannibalen und seines Opfers, taucht die Bilder ihrer Vergangenheit in düstere braun-grau Töne und versucht so eine authentische Wirkung zu erzielen. Dies misslingt und wirkt stattdessen amateurhaft und albern. Ein wenig Intelligenz ist den Zuschauern des Filmes durchaus zuzutrauen. Der ständige Perspektivwechsel zwischen Katie, Hartwin und Grombek dagegen verwirrt. Weisz hat sich bemüht den Menschen hinter dem Monster zu zeigen, bediente sich populärer Stilmittel, die den Film leider wie eine Episode einer Vorabendserie wirken lassen. Zu viele Klischees, eine zu lieblose Inszenierung, zu oberflächliche Forschung. So berichtet der Film von etwa 600 Kannibalen in Deutschland. Woher diese Zahl stammt, bleibt unklar. Egal, denn Hauptsache der Nachbar könnte darunter sein. Ein bisschen Real-Schock muss schließlich sein. Neben einigen Ekelszenen ist vor allem die sprachliche Ebene fragwürdig. Wenn Deutsche in Rohtenburg ein völlig akzentüberladenes Englisch sprechen, geht auch der letzte Funken Authentizität verloren.

Rohtenburg will Aufmerksamkeit schaffen, ist stattdessen aber nur eine sensationslüsterne Ausbeutung des Kannibalenmordes. Neben inhaltlichen Schwächen sind es vor allem die Fehler und Lieblosigkeit der Inszenierung, die negativ hängen bleiben. Die schockierende Tat, bei der man hinsehen und gleichzeitig weggucken möchte, rückt in der Nachbetrachtung seltsam in den Hintergrund. Die einzige wirklich spannende Frage ist der Grund nach dem durchgängig verschmierten Make Up der Hauptdarstellerin. Vielleicht von unzähligen Tränen, was passend wäre. Rohtenburg ist wahrlich ein Film zum Heulen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/rohtenburg