Angel-A

Ein rettender Engel

Eine Filmkritik von Marie Anderson

André (Jamel Debbouze), ein kleinwüchsiger Marokkaner, schlägt sich mehr schlecht als recht in Paris mit kleinen und auch mal größeren Gaunereien durchs Leben. Seine Bedrängnisse nehmen drastisch zu, als er seine Schulden bei einer der organisierten Gangster-Banden nicht mehr begleichen kann, so dass er beschließt, seinem desolaten Leben mit einem Sprung in die Seine ein frühes Ende zu setzen. Doch auf der Brücke angekommen findet sich André mit einem Mal als Retter der ausgesprochen attraktiven Angela (Rie Rasmussen) wieder, die sich vor seinen Augen in die Tiefe stürzt. Noch ahnt der lebensmüde Ganove nicht, dass die junge Frau als skurriler Schutzengel in irdischer Mission unterwegs ist, um ihm den Wert seines Daseins und seiner wenig geschätzten Person ins Bewusstsein zu rücken.
Und die Begegnung mit Angela verändert Andrés Leben in der Tat auf der Stelle, denn selbstverständlich weicht ihm das Engelswesen kaum noch von der Seite. Zunächst begibt sich Angela systematisch und unzimperlich daran, die Geldsorgen ihres Schützlings auszuräumen. Das seltsame Paar durchstreift von nun an gemeinsam die Stadt an der Seine mit ihren berühmten Wahrzeichen, Cafés und Bars sowie gleichzeitig die Abgründe der zerzausten Seele des glücklosen und missachteten Gauners. Und in dem so inflationär als „Stadt der Liebe“ bezeichneten Paris bleibt es natürlich nicht aus, dass sich die Verbindung von Angela und André bald auch emotional vertieft – doch bekannterweise sind die Beziehungen zwischen irdischen und himmlischen Wesen fast immer Begegnungen von nur kurzer Dauer ...

Der kleine, ungeschickte Ganove in Schwierigkeiten, das Brückenmotiv als angedachter Ausstieg aus dem elenden Dasein, der Engel-Auftritt als Rettung, die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen menschlichem und himmlischem Wesen, die moralische Bekehrung des im Grunde gutherzigen Gangsters und nicht zuletzt die berühmte Kulisse von Paris – all diese filmischen Elemente sind wohl bekannt. In Angel-A werden sie von einem klingenden Namen in Szene gesetzt: Luc Besson ist zurück.

Als Regisseur hat Luc Besson nun nach Johanna von Orléans aus dem Jahre 1999 sechs Jahre pausiert, und mit Angel-A ist die Lust am Inszenieren zurückgekehrt. Besson, der inzwischen zahlreiche Filme produziert und Drehbücher geschrieben hat, gestaltet sein neues Machwerk nach eigenem Skript auf sehr persönliche Weise als geradezu sentimentale Liebeserklärung an Paris. Dabei erstaunt es ein wenig, dass er sich für so klassische Kulissen wie Pont Neuf, Notre Dame und den Place de la Concorde entscheidet, die nun nicht gerade einen Geheimtipp unter den Orten seiner Heimatstadt darstellen, sondern bereits unweigerlich mit touristischem Szenario verknüpft sind. Dennoch fängt die Kamera von Thierry Arbogast, ein mehrfacher Mitstreiter Bessons bei Filmen wie Leon – Der Profi, ein verführerisches und zauberhaftes Paris des Lichts und der Schatten ein, dessen vitaler und gleichzeitg melancholischer Charme durch die ausschließlich in schwarz-weiß gehaltenen Bilder eine ganz besondere Faszination ausübt.

Die Filmmusik stammt von der Norwegerin Anja Garbarek, deren Vater sich als Saxophonist in der europäischen Jazz-Szene einen Namen gemacht hat, und korrespondiert wunderbar tragend mit der außergewöhnlichen Kameraführung.

Unter all diesen sorgfältig gestalteten Voraussetzungen wäre nun anzunehmen, dass der vielfach gefeierte Pariser Regisseur mit einem auf heimischem Territorium inszenierten Meisterwerk zurück sei, doch trotz der versammelten Kompetenzen gerät die Geschichte im Verlauf ihrer Entwicklung zu einem leicht rührseligen Erbauungskino. Die Protagonisten erfüllen die Anforderungen ihrer Rollen, die ihnen geradezu auf den Leib geschrieben sind, mit Bravour, ganz besonders Jamel Debbouze (Die fabelhafte Welt der Amélie, Asterix und Obelix: Mission Kleopatra) mit seiner wortgewandten Lebhaftigkeit einerseits und seiner mimischen Tragik andererseits, aber auch Rie Rasmussen (Femme fatale) verkörpert in ihrer energischen und warmherzigen Engelshaftigkeit mit offensiver Erotik ein himmlisches Wesen von unwiderstehlicher Anziehung. Dennoch ist es Luc Besson nicht ganz gelungen, seine sehr persönliche Begeisterung und Ergriffenheit von der Geschichte und den Lokalitäten angemessen in einen wahrhaft packenden und fesselnden Film umzusetzen, was nicht nur in den leicht klischeehaft anmutenden Elementen und der Vorhersehbarkeit der Handlung begründet ist. Bei Zeiten wird die Intensität der Atmosphäre durch allzu gefällige Dialoge gestört, deren moralische Ausprägung wenig Raum für Ambivalenzen und Brüche lässt, ohne die wahrscheinlich letztlich kein wahrhaft großer Film möglich ist.

Mit Angel-A gönnt Luc Besson sich und seinem hervorragenden Team anlässlich seiner Rückkehr auf den Regiestuhl den Luxus, recht distanzlos einen Film zu realisieren, der mit sentimentaler bis kitschiger Tendenz mehr in seiner liebevollen Banalität gefangen ist als dass er darüber hinausweist und den Zuschauer wahrhaft berühren kann. Dabei bleibt er dennoch eine reizende kleine Geschichte mit altbekannten Weisheiten über die Liebe und das Leben und gleichzeitig ein hervorragend fotografierter Bilderreigen von Paris, wie Besson es präsentieren mag. Es bleibt zu hoffen, dass der Regisseur, der augenblicklich den Film Bandidas – Arthur and the Minimoys inszeniert, nach diesem persönlichen Warm-up mit Angel-A bald wieder auf aktionsreicheres Terrain zurückkehrt, wo offensichtlich seine herausragenden Qualitäten liegen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/angel-a