Hotel (2004)

Das Leben ist der wahre Horror

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Ingredienzien für diesen ungewöhnlichen Horror-Film, oder korrekter Anti-Horror-Film von Jessica Hausner sind wohl bekannt und dazu angetan, bei Fans des Genres eine ganze Reihe von Assoziationsketten und Querverweisen auszulösen: Ein einsames Hotel im Wald und eine junge Frau, die dort eine Stelle als Angestellte antritt. Na, schwant Ihnen da etwas? Damit liegen Sie richtig – und auch wieder nicht. Denn Hotel bewegt sich tatsächlich zwischen großen Vorbildern wie Shining, Blair Witch Project und Psycho und orientiert sich doch in eine eigene, bislang nicht gesehene Richtung – ins Leere.

Als Irene (Franziska Weisz) eine neue Arbeitsstelle als Rezeptionistin in dem einsam gelegenen Hotel Waldhaus antritt, ahnt sie nicht, dass sich die nächsten Tagen für sie als der blanke Horror erweisen werden. Zunächst ist die junge Frau fasziniert von der Abgeschiedenheit und Stille, die über dem Haus liegt, doch bald schon wandelt sich die Faszination in ein unbehagliches Gefühl; zumal, als sie erfährt, dass ihre Vorgängerin auf unerklärliche Weise verschwunden ist. Die verwaisten Fluren und labyrinthischen Gänge des Hotels tun das Ihre dazu, die wachsende Verunsicherung Irenes zu verstärken. Und der Rest der Belegschaft zeigt sich gegenüber der jungen Frau abweisend bis offen feindselig. Irene beginnt sich mehr und mehr für das rätselhafte Schicksal ihrer Vorgängerin zu interessieren und stößt dabei auf Spuren, die in den unheimlichen Wald deuten. Das namen- und gestaltlose Grauen, das zunehmend von Irene Besitz ergreift, ist nicht fassbar und vielleicht gerade deswegen umso wirksamer, immer wieder geschehen merkwürdige kleine Episoden, die sich jeder Interpretation entziehen, da niemand genau weiß, ob sie real sind, inszeniert oder die Ausgeburten eines hypersensiblen Geistes. Fast scheint es so, als gäbe es aus diesem Horrorszenario für Irene kein Entrinnen mehr…

Coop99, die Filmproduktion, die Jessica Hausner gemeinsam mit ihren Kollegen Barbara Albert, Martin Gschlacht, und Antonin Svoboda betreibt, darf fürwahr als eine der Talentschmieden des jungen österreichischen Films gelten. So produzierten die vier unter anderem mit bei Die fetten Jahre sind vorbei, Darwin’s Nightmare, Schläfer und beim Berlinale Gewinner Grbavica –Esmas Geheimnis. Auch die eigenen Filme wie Böse Zellen von Barbara Albert oder Lovely Rita, Jessica Hausners Regiedebüt, haben nicht nur im eigenen Land für Aufmerksamkeit gesorgt. Hotel setzt diese Reihe locker fort und wird auf ähnliche Weise polarisieren, wie dies in der jüngsten Vergangenheit andere Filme aus der Alpenrepublik getan haben – erinnert sei etwa an Michael Hanekes Caché / Hidden oder Ulrich Seidls Hundstage. Mit Hotel gelingt Jessica Hausner der Kunstgriff eines Anti-Thrillers, der die Regeln und Gesetze des Genres genauestens kennt und es versteht, Atmosphäre und bestimmte Erwartungshaltungen aufzubauen, nur um diese anschließend ins Leere laufen zu lassen. Wer nun freilich glaubt, das Nichteinlösen bestimmter Zuschauererwartungen entspringe dem Unvermögen, Spannung durchzuhalten und einen Film sauber aufzulösen, sieht sich getäuscht, denn genau das ist nicht Hausners Intention. Vielmehr verweigert sie sich mit ihrem Film einer Dramaturgie, die den Zuschauer damit versöhnt, dass alle Fragen am Ende beantwortet werden und der Rezipient dementsprechend mit einem guten Gefühl nach hause entlassen wird. Hausners perfides Spiel geht viel weiter und berührt deshalb existenzielle Fragenstellungen, indem sie zu Recht darauf verweist, dass manche Geheimnisse des Lebens niemals gelöst werden können und manche Ereignisse einfach keinen Sinn machen. Das ist nämlich der wahre Horror des Lebens – Leere, Einsamkeit und Sinnlosigkeit.

Freunden des expliziten Grusels muss man leider vom Besuch dieses Anti-Thrillers abraten, denn ihre Erwartungen werden mit Sicherheit enttäuscht werden. Wer aber intelligente Spiele und Erkundungen der so genannten Wirklichkeit mag und bereit ist, sich auf existenzielle Fragestellungen einzulassen, dem sei dieses Kleinod wärmstens ans Herz gelegt.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/hotel-2004