Sommer 04

Sonne, Segeln, Sex und Seelenqualen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Am Anfang ist alles eitel Sonnenschein: Miriam (Martina Gedeck) weilt mit ihrem Lebensgefährten Andre (Peter Davor), ihrem Sohn Nils (Lukas Lucas Kotaranin) und dessen Freundin Livia (Svea Lohde) zur Sommerfrische an der Küste Schleswig-Holsteins. Eine ganz normale Familienidylle zwischen Segeltörns und Abendessen. Doch das ändert sich schnell, als die gerade mal 12 Jahre alte Livia den Deutsch-Amerikaner Bill (Robert Seeliger) kennen lernt, der sich ein Haus an der Schlei gekauft hat. Misstrauisch beäugt Nils, wie „seine“ Lisa immer mehr Zeit mit dem charmanten Sunnyboy verbringt. Und auch Miriam ist die Störung des trauten Beisammenseins gar nicht Recht, schließlich hat sie die Verantwortung für das junge Mädchen. Oder ist da vielleicht noch etwas Anderes wie Eifersucht im Spiel? Denn auch Miriam zeigt sich vom Charme Bills angetan und beginnt sogar eine Affäre mit ihm. Oder ist das nur ein Wettkampf zwischen der erwachenden Weiblichkeit Livias und Miriams Sorge davor, nicht mehr so attraktiv wie das junge Mädchen zu sein? Verblendet von Grübeleien und entgleisenden Gefühlen treibt der friedliche Sommerurlaub unweigerlich auf eine Katastrophe zu, von der nachher niemand mehr sagen kann, wann genau es eigentlich begonnen hat…
Klammheimlich, still und leise beginnen sich in Stefan Krohmers Film Sommer 04 das Misstrauen und die unterdrückten Begierden in eine nach außen hin völlig intakte Familie einzuschleichen und entfalten ihre zerstörerische Wucht so effizient, dass man sich ob der Ohnmacht der Akteure kaum wundern muss. Dabei sind es vor allem die Frauen, die den Gang der Tragödie vorantreiben, von Krohmer auf wunderbare Weise unterstützt mit fein beobachteten, ätzenden Portraits des gutbürgerlich-coolen und lethargisch-liberalen Mittelstandes, der alles hat und nichts mehr begehrt. Und wenn er es doch wagt, zerfällt die ganze Fassade der heilen Welt zu Asche und Staub. Ein kühles und präzise beobachtetes Familiendrama im Gewand einer Sommerkomödie à la Eric Rohmer, das gleichzeitig auf unaufdringliche Weise eine Ahnung vom Kampf der Geschlechter und von den Befindlichkeiten unserer Gesellschaft gibt, ohne jemals belehrend oder altklug zu wirken. Sommer 04 ist kein Film, den man lieben muss, aber definitiv ein reifes Werk, das ungeheuer klug und auf seine Weise sehr wahr ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/sommer-04