I'm Not There

Being Bob Dylan

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Bob Dylan ist nicht hier und auch nicht dort, weder ein Folksänger, noch eine Galionsfigur der Protestbewegung. Er will sich nirgends erkannt wissen – außer in seinen Texten und in seiner Musik. Wer das Wagnis begeht, Dylans Leben filmisch festhalten zu wollen, muss sich etwas Kluges, ja Geschicktes einfallen lassen, um aus den Widersprüchen kein beklemmendes Korsett zu formen. Todd Haynes wirft mit seinem Film I’m Not There aus eben jenen Gründen alle "Biopics"-Regeln über den Haufen und stellt sich der schwierigen Aufgabe mit dem Mut zur Dekonstruktion: Er negiert die üblich angewandte, chronologisch geordnete Narration und verortet die Person Dylan in der Unentscheidbarkeit.
Haynes bekennt, dass er fast alle Dylan-Biographien gelesen hat; mit dem Großmeister persönlich hat er jedoch nicht gesprochen. Die fulminante Kenntnis und der Versuch einer selbst gewählten Sicht auf die Künstlerfigur macht jene Herangehensweise plausibel und erklärt, warum Dylan den Film autorisiert hat. Die Komplexität des Drehbuchs muss Gefallen gefunden haben. Dabei fällt der Name des Musikers und Sängers kein einziges Mal, stattdessen werden die verschiedenen Lebensabschnitte und die sich darin niederschlagenden Persönlichkeiten Dylans mit anderen Namen versehen und von Christian Bale, einer grandiosen Cate Blanchett (sic!), Richard Gere, Heath Ledger, Ben Whishaw und Bruce Greenwood, also von vielen verschiedenen Darstellern gespielt und mit subjektiven Eigenschaften angereichert – anachronistisch, ineinander greifend, halbfiktiv. Wer Martin Scorseses No Direction Home kennt, wird Zitate und Anspielungen entdecken, die sich auf die aus Archivmaterialien und Interviews bestehende Dokumentation beziehen.

Haynes erzählt mehr von der Vielschichtigkeit eines Künstlers, als von seinen biographischen Umrissen. Selbst der Gangster "Billy the Kid" muss als lebendige Metapher für Dylan herhalten, womit sich Mythos und Wirklichkeit unentwirrbar verknüpfen. Jedes Festnageln, jede Kernaussage wird vermieden. Dylan besitzt viele Masken, und wer fragt, welche nun dem Gesicht Dylans am ähnlichsten ist, der missversteht die Funktion der Maske.

Die teils von Bob Dylan original ausgeführten, teils von anderen Künstlern wie Calexico interpretierten Stücke kommentierten die Taktik von Haynes, mit der er seinem Film keine Ordnung aufdrängen, vielmehr das Maskieren des Musikers als Methode einer künstlerischen Bewältigung erfahrbar machen will. Aus Dylans chamäleonartigem Auftreten gewinnt der Film seine Polyvalenz. Die vielen Schattierungen können Wirklichkeit spiegeln, aber auch frei erfunden sein, das muss der Zuschauer selbst entscheiden. Hilfreich ist hierbei eine ungefähre Kenntnis der Biographie des Musikers, nur so kann das Geflecht an Anspielungen und Brüchen vom Zuschauer entschlüsselt und lustvoll verarbeitet werden. Dass Dylan mit 11 Jahren kein Vagabundenleben führte, dass er kein Filmstar und auch nicht Rimbaud war (obwohl alles irgendwie zutrifft), liegt auf der Hand. Dass die fiktiven Geschichten nicht völlig der Wahrheit entbehren, gehört zu den intelligenten und gleichsam mühsamen Herausforderungen des Films. Wer sich dem stellt, wird viel Vergnügen, viel Bewegendes und viel Neues erfahren. Schlussendlich muss man sich damit zufrieden geben, dass sich Dylan dem Benennbaren entzieht. Während wir jedes Loch nach seiner Identität durchsuchen, singt er uns spöttisch entgegen: "I’m not there".

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/im-not-there