Lucie & Maintenant

Räudige Rastplatz-Romantik

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Einer seltsamen Reise nachspürend, die der argentinische Autor Julio Cortázar im Frühjahr 1982 mit seiner Frau Carol Dunlop unternahm, begleitet diese Dokumentation ein französisches Künstlerpaar dabei, diese erneut durchzuführen. Dabei halten sich Océane Madelaine und Jocelyn Bonnerave 25 Jahre später an die gleichen einfachen Regeln für die Strecke von Paris nach Marseille, die sich bereits ihre berühmten Vorbilder gesetzt hatten, und werden dabei mit der Kamera vom Filmemacher-Trio Simone Fürbringer, Nicolas Humbert und Werner Penzel gefilmt, die auch gemeinsam das Drehbuch zu ihrer Dokumentation Lucie & Maintenant / Lucie et Maintenant – Journal nomade verfasst haben.
Es galt, auf der A7, der so genannten l´Autoroute du Soleil, von Paris nach Marseille zu reisen, ohne die Autobahn zu verlassen und dabei jeden Rastplatz zu besuchen, der des Wegs kommt – allerdings nur zwei an einem Tag, wobei auf dem zweiten auch genächtigt werden musste, so dass aus einer üblichen Fahrtzeit von ungefähr sieben Stunden mehr als ein Monat wurde. Unter diesen Bedingungen waren einst Julio Cortázar und Carol Dunlop unterwegs, der Argentinier 67 Jahre alt, die Kanadierin Mitte der Dreißiger, beide ernsthaft krank und seit ein paar Jahren ein Schriftsteller-Paar, das in Paris lebte. Diese ebenso kuriose wie augenscheinlich fröhliche Reise sollte ihre letzte gemeinsame sein, denn Carol Dunlop verstarb noch im selben Jahr, und ihre Erlebnisse auf der Raststätten-Tour erschienen unter dem Titel Die Autonauten auf der Kosmobahn – Eine zeitlose Reise Paris –Marseille, illustriert mit Skizzen und Bildern der Kanadierin, die auch als Fotografin tätig war – Julio Cortázar starb zwei Jahre darauf.

Von dieser Geschichte offensichtlich berührt machte sich ein Vierteljahrhundert später ein französisches Liebespaar auf denselben Weg, und auch hier galt der Vorsatz, sich die meiste Zeit auf den Rastplätzen herumzutreiben und im Grunde nur wenig zu fahren, so dass das unspektakuläre und selten reizvolle Leben am Rande der Autobahn im Fokus der Dokumentation steht, die manchmal von einem über die Bilder gelesenen Text kommentiert wird. Es ist ein räudiger, ständig wechselnder und doch immer ähnlicher Raum, den sich die beiden Künstler für die Dauer dieser Reise erschließen, im Nachempfinden einer vergangenen Liebe, die um ihr nahes Ende wusste. Und das ist nicht nur der Anfang, sondern umfasst gleichzeitig auch die gesamte Fahrt von Océane Madelaine und Jocelyn Bonnerave, die den Zuschauer beinahe ein wenig verärgert mit einigen Fragen zurücklässt, denen sich der Film konsequent verweigert, dessen geradezu artifizielles Konzept zu sehr um sich selbst kreist, als dass es einen Zugang von außen ermöglichen würde.

Nun ist es keine Neuigkeit, dass ein entsprechendes Wissen um die Hintergründe eines Films sein Verständnis in der Regel fördert, doch wirklich gute Filme vermögen es auch, ein völlig unvorbereitetes Publikum zu überzeugen. Lucie & Maintenant / Lucie et Maintenant – Journal nomade beginnt zwar mit einer knappen Einführung in Form eines Textes, doch der Zuschauer erhält keine Hinweise auf nahe liegende Fragen wie: Warum unternimmt das Paar diese Reise und lässt sich dabei filmen? Sind sie krank, wie damals Cortázar und Dunlop? Und vor allem: Wer soll sich das anschauen, und warum?

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/lucie-maintenant