Buddenbrooks

Ein Film von einiger Größe

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Der Literaturklassiker von Thomas Mann in einer Neuverfilmung von Heinrich Breloer. Braucht das Kino die redundanten Mann'schen geistigen Ergüsse, und kann in Zeiten von PISA das Zelluloid eventuell bestehende Bildungslücken schließen? Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort: Ja!
Bereits 1923, 1959 und 1979 wagten sich Regisseure an dieses Schwergewicht der deutschen Literatur, für das Thomas Mann 1929 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Wer sich nicht erneut durch die knapp siebenhundert Seiten des teils autobiographischen Romans quälen will, dem wird durch die großartige Verfilmung des literarischen Stoffes ein extrem gut durchdachter, szenisch perfekt umgesetzter und vor allem kameratechnisch brillanter Ersatz geboten.

Der Handlungsstrang des Untergangs der Familie Buddenbrook verläuft über etwas mehr als vierzig Jahre. Der Film setzt im Kindesalter von Tony (Jessica Schwarz), Christian (August Diehl) und Thomas Buddenbrook (Mark Waschke) ein, als sie vorwitzig zwei Handkarren stehlen, um in einer rasanten Fahrt durch die Straßen von Lübeck zu flitzen. Temporeich wird die Verfolgung der Kinder durch die Polizei dargestellt, und vom ersten Moment an wird man gefesselt von den Nahaufnahmen der Protagonisten und den unendlichen Details, die fast zu viel sind, als das man sie auf Anhieb erfassen könnte. Im weiteren Verlauf verliert der Film an Tempo und es kehrt mit steigendem Alter der Figuren auch eine gewisse Ruhe und Geradlinigkeit ein. Fast symbolisch kann man das auf den Untergang dieser hanseatischen Kaufmannsfamilie sehen. Während sich Christian zum Hypochonder und Querulanten entwickelt, verheiratet sich Tony mit den falschen Männern, denn die Aufforderung ihres Vaters Jean (Armin Müller Stahl) ist unmissverständlich: "Du hast uns Gehorsam zu schulden!" Ihm geht es natürlich nur um eine finanziell gute Partie, und Liebe ist ein Luxus, den man sich nicht leisten könne. Aber dabei verspekuliert er sich und seine Frau Bethsy (Iris Berben) steht bald als Witwe da. Die Geschäfte wird fortan der älteste Sohn Thomas übernehmen, aber auch ihm ist der dauerhafte Erfolg nicht vergönnt. Am Ende des Films musste die Familiengruft vier Mal geöffnet werden und aus jeweils einer Generation ist ein männlicher Nachfahre – meistens vor der Zeit – aus dem Leben geschieden.

Spannend hat Breloer die Überleitung zu anderen Orten oder das schnelle Fortschreiten der Jahre gelöst. Beispielsweise spricht Christian die Worte "Good luck Amsterdam" zu seinem Bruder Thomas, weil dieser dort sein Glück suchen will, und noch während die letzte Silbe ausklingt, tauchen als nächstes Bilder von den Grachten der niederländischen Hauptstadt auf. Ebenso klug hat der Regisseur eine Zeitspanne von etwa zehn Jahren überbrückt, die er filmisch in nur wenigen Sekunden bewerkstelligt: Der kleine Hanno sitzt am Klavier und spielt noch etwas unsicher ein Duett mit seiner Mutter. Während eines Kameraschwenks, bei dem Hanno nicht mehr zu sehen ist, verändern sich die Töne und werden zusehends virtuoser. Der Kameraschwenk zurück, hat Hanno (Raban Bieling) etwa zehn Jahre älter werden lassen. Das sind – notwendige - Kunstgriffe, die es schaffen den literarischen Stoff auf zweieinhalb Stunden zu reduzieren. Diese 150 Minuten vergehen wie im Flug, denn es ist emotional mitreißendes Kino, das filmisch erstklassig umgesetzt und mit phantastischen Schauspielern besetzt wurde. Selbst der junge Hanno wirkt in seiner Rolle als Tuberkulose-Kranker sehr überzeugend.

Einzig störend wirken immer wieder die strahlend weißen Zähne der Schauspieler, denn im 19. Jahrhundert hat man noch nichts von Bleaching oder ähnlichem gehört, so dass dies wenig authentisch wirkt. Dass die Maske hier nicht eingegriffen hat, ist unverständlich, denn viele Details wurden realitätsnah der Zeit vor 150 Jahren angepasst. Sei es, dass die Rasuren der Männer nicht ganz so perfekt geraten sind, wie sie heutzutage möglich sind, die Glasfenster nicht dem heutigen Sauberkeitsstandard entsprechen oder etliches mehr. Hier hat der Regisseur große Sorgfalt auf historische Authentizität gelegt, die den Film sehr atmosphärisch und überzeugend erscheinen lassen.

Der Regisseur Heinrich Breloer hat sich bislang mit Doku-Dramen einen Namen gemacht. Mit der Verfilmung von Buddenbrooks ist er seiner ganz persönlichen Leidenschaft für Thomas Mann nachgegangen, wie bereits 2001, als er den Dreiteiler Die Manns – Ein Jahrhundertroman drehte. Auch sein Kameramann Gernot Roll ist kein Neuling der filmischen Adaption von Thomas Mann, denn er arbeitete bereits 1978 für den TV-Mehrteiler Buddenbrooks, sowie 2001 an Breloers Dreiteiler. Beiden Männern, der erlesenen Schauspielerriege und der traumhaften Kulisse Lübecks ist es zu verdanken, dass diese Literaturverfilmung einem breiten Publikum zugänglich gemacht wird, und mit Sicherheit wird der eine oder andere dazu animiert, den Roman noch einmal - oder auch zum ersten Mal - zu lesen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/buddenbrooks