Alle Anderen

Liebesk(r)ampf

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eigentlich beginnt ja alles recht idyllisch und mit subversivem Witz: Ein junges Paar aus Deutschland, der Architekt Chris (Lars Eidinger) und die PR-Managerin Gitti (Brigitte Minichmayr) verbringen eine unbeschwerte Zeit im Ferienhaus von Chris’ Eltern auf Sardinien. Schnell wird deutlich, wie in dieser Beziehung die Rollen verteilt sind: Chris ist eher der introvertierte, grüblerische und unsichere Typ, der alles hinterfragt und der sich nie festlegen will, während Gitti laut, frech und fordernd ist. Klar, dass in dieser Beziehung die Konflikte vorprogrammiert sind und sich im Laufe eines Urlaubs immer mehr steigern werden. Und die sich unmerklich und immer schneller drehende Spirale des Auseinanderlebens und Nichtverstehens verstärkt sich noch weiter, als Chris und Gitti auf Hans (Hans Jochen Wagner) und dessen Frau Sana (Nicole Marischka) treffen, die all das sind, was Chris und Gitti nicht sein wollen – selbstgewiss und gönnerhaft gegenüber allen Anderen im Falle von Hans und fröhlich-unterwürfig wie Sana. Auch wenn sie die beiden Bekannten von Grund auf verabscheuen, werden Hans und Sana doch zu so etwas wie Vorbildern, denn offensichtlich scheint ja deren Beziehung bestens zu funktionieren. Doch was für die Einen gut ist, muss bei den Anderen noch lange nicht klappen; schnell kommen die beiden Urlauber an die Grenzen ihrer Beziehung. Und wirklich jedes Wort, jeder Blick, jede Geste wird von nun an auf die Goldwaage gelegt, gemessen und bewertet…
Wie schon in Der Wald vor lauter Bäumen, so zeigt sich Maren Ade auch in ihrem neuen Film Alle Anderen als genaue Beobachterin zwischenmenschlicher Beziehungen und schaut vor allem auf die Wunden und Verletzungen, die Missverständnisse und Ausbrüche, die sich Menschen zufügen. Das ist einerseits zwar in manchen Situationen unglaublich komisch – vor allem, wenn man sich als Zuschauer auf sich selbst zurückgeworfen fühlt –, andererseits aber auch an einigen Stellen unglaublich quälend. Trotz großartiger Szenen fehlt dem Film insgesamt der Drive und die soghafte Wirkung von Maren Ades Erstling, zu vieles bleibt reine Zustandsbeschreibung und dreht sich ebenso im Kreis wie die Beziehung zwischen Chris und Gitti. Aber vielleicht ist es ja genau so, das ganz normale (Liebes)Leben…

Alle Anderen schwankt unentschlossen zwischen Hysterie, Langeweile und der Erkenntnis, dass man sich eigentlich nichts zu sagen hat und wirkt über weite Strecken wie eine Schauspielimprovisation, die irgendwann einmal ihr Ziel ein wenig aus den Augen verloren hat. Und das ist gerade wegen der erschreckend authentischen Schauspieler und Maren Ades großartigem Debüt dann doch eine echte Enttäuschung.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/alle-anderen