Nokan - Die Kunst des Ausklangs (2008)

Der letzte Gang

Eine Filmkritik von Benjamin Richter

Die Überraschung war groß, als 2008 Yojiro Takitas Tragikkomödie Nokan- Die Kunst des Ausklangs noch vor den hoch gelobten Konkurrenten Waltz with Bashir und Die Klasse den begehrten Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhielt. Es ist die emotionale Geschichte eines ruhigen Mannes, der mit seiner Welt, seinem Vater und sich selbst in Konflikt geraten ist. Nach der Auflösung seines Orchesters platzt Daigo Kobayashis (Masahiro Motoki) Traum vom Leben als Musiker. Denn die Raten des 18 Millionen Yen teuren Violincellos kann er ohne Job nicht bezahlen und ist deshalb gezwungen, das geliebte Instrument zu verkaufen. Frustriert verlässt er Tokio und begibt sich, mit seiner Frau Mika (Ryoko Hirosue) im Schlepptau, in seinen Geburtsort im Norden Japans zurück. Zwar gibt es hier kein Orchester, aber eine Firma die überraschenderweise auch Ungelernte wie ihn als "Reiseleiter" engagiert. Es stellt sich heraus, dass es sich hierbei um die "letzte Reise" handelt und die Firma spezialisiert ist auf das zeremonielle Herrichten von Leichen. Doch ein außergewöhnlich hoher Vorschuss und beruhigende Worte des Geschäftsführers Ikuei Saseki (Tsutomu Yamazaki, bekannt aus Tampopo) überzeugen Daigo davon, den Job anzunehmen.

Die Idee, einen Film über den Umgang mit dem Tod zu machen, kam von Masahiro Motoki, dem Hauptdarsteller des Filmes, selbst. Während einer Reise in Indien sah er, wie der Tod dort viel selbstverständlicher zum Alltag gehört als in seiner Heimat Japan. Fasziniert von der Beziehung zwischen Leben und Tod, regte ihn das Buch eines buddhistischen Bestatters endgültig dazu an, das Thema in einem Film zu verarbeiten. Um sich auf seine Rolle vorzubereiten, begleitete und half er selbst bei einem realen Bestattungsritual.

Die stilisierte Zeremonie des Aufbahrens, die in Anwesenheit der Trauernden vollzogen wird, ist das Leitmotiv des Films. In langsamen Gesten erfahren Familienangehörige und Zuschauer eine würdevolle Transformation, die die Zeichen des Lebens und des Todes beheben. Immer wieder sieht Daigo während des Aufbahrens, wie wichtig das Ritual für die Bewältigung der Trauer der Hinterbliebenen ist und wird sich seiner Rolle als Medium zwischen Lebenden und Toten bewusst. Und natürlich hat auch Daigo eine ganz persönliche Trauer zu verarbeiten, vom Vater im frühen Kindesalter verlassen, bleiben ihm nur noch vage Erinnerungen – und eben das Cellospiel.

Dass Daigos Berufswahl persönliche Probleme und Unannehmlichkeiten mitbringt, ist aber nicht nur auf den Ekel zurückzuführen, der sich mit seiner Tätigkeit verbindet. Für de europäischen Zuschauer meist unbekannt, hat seine Entscheidung diesen Beruf aufzunehmen in der japanische Kultur weitreichende Folgen, denn Daigo begibt sich freiwillig in eine seit Jahrhunderten bestehende untere Kaste: die burakumin, die sich um Leichen und Kadaver kümmern und damit als unrein gelten. Der Film durchdringt die uralten Stigmata in dem er sich die Zeit nimmt ein wunderschönes Ritual zu zeigen. Immer wieder werden in intimen Bildern die vielen mit Sorgfalt ausgeführten Handgriffe beobachtet. Selbst als Zuschauer wandelt sich die anfängliche Abneigung bald in Faszination.

Nicht ganz so faszinierend ist die etwas kitschige, pseudo-klassische Musik von Joe Hisashi (Chihiros Reise ins Zauberland). Regelmäßig wird zum Cello gegriffen und langsam und melancholisch über Leben, Tod und die Liebe sinniert. Genau hier wird aus der zeremoniellen Langsamkeit des Films manchmal schon Trägheit, die glücklicherweise von den überragenden Nebenfiguren und manch einer kleinen Slapstickeinlage verdrängt wird, bevor der Film zur Qual wird.

Nokan- Die Kunst des Ausklangs nimmt sich die Zeit starke Eindrücke zu schaffen. Obwohl er an manchen Stellen ziemlich vorhersehbar ist und, vor allem musikalisch, haarscharf an der Grenze zum Kitsch entlangschrammt, gelingt es ihm, eine eloquente Sozialkritik zu äußern und den Zuschauer im Bann zuhalten, bis der Abspann über die Leinwand flimmert. Und der wird natürlich begleitet von einem Cellospiel.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nokan-die-kunst-des-ausklangs-2008