Parkour

Den Absprung schaffen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Den ersten Aha-Effekt setzt dieser Film gleich in den ersten Minuten: Ein junger Mann steht auf dem Balkon, trinkt einen Schluck Milch, holt tief Luft und macht sich auf den Weg nach draußen. Allerdings nimmt er dazu nicht den normalen Weg aus dem Hochhaus, der über die Treppe oder den Fahrstuhl führt, sondern er springt und klettert mit wahrhaft affenartiger Geschwindigkeit von Balkon zu Balkon, so dass man beinahe schon auf die Einblendung "Bitte nicht nachahmen!" wartet.
Für Richie (Christoph Letkowski) hingegen, der als Gerüstbauer arbeitet und eine kleine Firma hat, ist sein Geschick beim Klettern ein Glücksfall. Gemeinsam mit seinen beiden Freunden Nonne (Marlon Kittel) und Paule (Constantin von Jascheroff) vollführt Richie die gewagtesten Sprünge und wählt durch stillgelegte Industrieanlagen stets den unwahrscheinlichsten Weg. Auch in seinem Privatleben geht es eher turbulent zu – was vor allem an Richie selbst liegt. Der ist nämlich sehr eifersüchtig auf seine Freundin Hannah (Nora von Waldstätten), die gerade ihr Abitur zu bewältigen versucht, um anschließend Architektur zu studieren. Obwohl Richie ihr selbst die Mathe-Nachhilfestunden bei Nonne vermittelt hat, verstehen sich die beiden für seinen Geschmack ein wenig zu gut. Als Ärger bei der Arbeit dazu kommt, genügen die waghalsigen Stunts schon bald nicht mehr aus, den Frust auf diese Weise abzureagieren. Und als Richie den Unfall eines seiner Mitarbeiter verursacht, gerät er zunehmend in einen Strudel aus Paranoia, Eifersucht und schlichtem Pech.

Packend inszeniert, zum Teil rasant geschnitten und mit sehr feinem Augen für Locations (der Film wurde zum überwiegenden Teil in Mannheim gedreht) ist Parkour – passend zu der gleichnamigen Trendsportart – ein Film voll vibrierender Energie. So kraftvoll sah man schon lange keinen deutschen Debütfilm mehr – normalerweise neigen die Filme etlicher Hochschulabsolventen ja eher unter einer gewissen Betulichkeit und Anämie. Das ist bei Parkour sicherlich nicht der Fall. Zwar wählt auch Marc Rensing für seinen Film das beliebteste Thema des deutschen Debütfilms, also die Last des Erwachsenswerdens, doch mit Hilfe des Twists, den der Film vornimmt und über den an dieser Stelle nicht allzu viel verraten sei, gelingt ihm das Kunststück, den Zuschauer immer wieder auf falsche Fährten zu locken und der Story überraschende Wendungen abzugewinnen.

Wenn man es ganz genau nimmt, kommt man nicht umhin, einige kleinere dramaturgische Brüche und Schnitzer sowie einige weniger überzeugende Nebendarsteller zu bemängeln. Insgesamt aber ist das eher ein Jammern auf recht hohem Niveau. Denn Parkour bügelt diese unerheblichen Schnitzer durch seine schiere Energie, wundervolle Hauptdarsteller (bewunderwert ist vor allem Christoph Letkowskis Verwandlung im letzten Teil des Films) und eine gut konstruierte Story mit doppeltem Boden locker wieder aus.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/parkour