Ponette

Donnerstag, 20. Mai 2010, 3sat, 22:25 Uhr

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Im Jahre 1996 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig im Rennen um den Goldenen Löwen am Start sorgte das französische Drama Ponette für eine Sensation: Zwar vergab die Jury mit Präsident Roman Polanski die Trophäe für den Besten Film an Michael Collins des irischen Regisseurs Neil Jordan, doch Ponette wurde in vier Kategorien prämiert, wobei der Volpi Cup für die Beste Darstellerin an Victoire Thivisol ging. Die damals Vierjährige, die die Hauptfigur in dem Film von Jacques Doillon verkörpert, erhielt diese Auszeichnung als jüngste Actrice überhaupt, deren geradezu magisch intensives Spiel offensichtlich einem ganz außergewöhnlichen, instinktiven Talent entspringt.
Da verunglückt eine junge Frau (Marie Trintignant) bei einem Autounfall tödlich, während ihre kleine Tochter Ponette (Victoire Thivisol) überlebt und in unerträgliche Trauer über den Verlust der Mutter versinkt. Wo abgrundtiefe Traurigkeit herrscht, da helfen auch kein noch so gut gemeinter Trost und schon gar keine straffen Ermahnungen des Vaters (Xavier Beauvois), diesen unabänderlichen Umstand zu akzeptieren. Der getrübten Kinderseele fehlt schlichtweg die Mama, und die soll wiederkommen, und das nicht erst am Tag des Jüngsten Gerichts, wie ihre Tante (Claire Nebout) die Kleine zu trösten versucht. Ponette ist in ihrer Verzweiflung bereit, einfach alles zu tun, damit die Mama wieder bei ihr ist, doch alle Mutproben im Ferienlager, zu denen sie von einem fiesen Früchtchen arglistig diesbezüglich angestiftet wird, helfen auch nichts, so dass das kleine Mädchen in seiner Not schließlich davonläuft ...

Mit einem filigranen Gespür für Sensibilitäten, Stimmungen und kindliche Weltsicht hat Jacques Doillon (Der kleine Gangster / Le petit criminel, 1990, Der junge Werther / Le jeune Werther, 1993, Raja, 2003) einen ebenso klugen wie anrührenden Film über ein todernstes Thema gedreht, bei dem letztlich auch jenseits gängiger Herzschmerzkalkulationen, auf die der Regisseur und Drehbuchautor weitgehend verzichtet, kaum ein Auge trocken bleiben kann. Ponette verlässt die Ebene der rationalistischen Realitätsbetrachtungen und konzentriert sich auf die zarte Gefühlswelt seines spektakulären Hauptpersönchens, dessen Authentizität diesem Film ein unnachahmliches Charisma verleiht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ponette