127 Hours (2010)

Nichts für schwache Nerven

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Danny Boyle ist ein Ausnahmeregisseur, was er u.a. mit Trainspotting und Slumdog Millionaire bewiesen hat. Nun hat er sich der realen Geschichte des Hobbybergsteigers Aron Ralston angenommen, der in einem Canyon verunglückt und alleine um sein Leben kämpft. Aber birgt das tatsächlich Stoff für einen Kinofilm? Ganz klare Antwort: Ja, absolut!

Aron Ralston (James Franco) ist mit seinen 26 Jahren ein ganz normaler junger und gesunder Mann. Er hat einen guten Job, ist sich seines Egos mehr als bewusst und sucht an den Wochenenden immer wieder die Canyons auf, um dort zu klettern. Er fährt Mountainbike wie ein Profi und klettert ebenso rasant und versiert in den Bergen. Durchtrainiert wie er ist und erfahren in den Canyons von Utah, wo er jeden Millimeter kennt, kann ihm dabei auch nichts passieren. Denkt er. Wie fast jedes Wochenende bricht er eines Morgens im Jahr 2003 hektisch zu einer neuen Tour auf, um die Freiheit und die Weite der Natur zu erobern, die sich allerdings bald für ihn als absoluter Albtraum entwickeln wird. Aron trifft zuvor noch auf zwei Wanderinnen, die er in die Geheimnisse des Canyons einweiht, und sie haben jede Menge Spaß zu Dritt, was die Aufzeichnung seiner digitalen Kamera beweist. Dennoch verabschiedet er sich schnell von den beiden Frauen und flüchtet in sein geliebtes Bergabenteuer, das mindestens ebenso schnell in einer scheinbar ausweglosen Situation mündet: Unbedacht und siegessicher klettert er in den Canyons herum und fällt plötzlich in eine Felsspalte, wobei er einen schweren Steinbrocken mit sich reißt, der seinen rechten Arm – und damit ihn - an einer Felswand einklemmt. Noch ist ihm das Ausmaß der Situation nicht bewusst, und er fängt höhnisch an zu lachen. Aber bald wird ihm klar, dass ihn der Stein auf immer gefangen hält, wenn er keine Lösung dafür findet. 127 Stunden später hat er sie, die Lösung, auch wenn sie bedeutet, dass er sich selbst einen Arm amputieren muss...

In einem Kommentar wurde bemängelt, dass sich der Besuch dieses Filmes nicht lohne, da man den Ausgang bereits kennen würde. Aber genau weil man weiß, wie der Film endet – also mit der Amputation des Armes und dem Überleben von Aron – ist es umso spannender, wie Danny Boyle diese Ausnahmesituation und dieses Einpersonenstück in beengtem Raum umzusetzen weiß. Und das macht er perfekt! Nicht eine Sekunde wird dabei langatmig oder gar langweilig, sondern alles ist aufgeladen mit den Emotionen und Gedanken Arons, wie er, immer geschildert mit einer subjektiven Kamera, aus der lebensbedrohlichen Situation entkommen kann. Das schafft Boyle mit ungewöhnlichen Kameraeinstellungen, schnellen Schnitten, bizarren Bildern und mit Rückblenden auf das Leben von Aron. Bisweilen überschneidet sich die Realität mit Fiktion und geht in Richtung Halluzination, und auch der Zuschauer weiß bald nicht mehr, was wahr und was Traum ist. Aron erlebt in diesen 127 Hours - die fast sechs Tage ausmachen - eine Läuterung seines bisherigen Lebens. Alles, was bis dahin Wert hatte, zerfällt in Belanglosigkeit, oder aber Beziehungen zu Menschen bekommen einen ganz neuen, unschätzbaren Wert. Gerade letzteres lässt Aron die scheinbar unverständliche Handlung der Amputation des eigenen Armes vollziehen. Das sind auch die Momente des Filmes, wo der Zuschauer mit schwachen Nerven lieber wegsehen sollte, denn dies wird en detail wiedergegeben und sorgte bei der Weltpremiere in Toronto angeblich zu Ohnmachtsanfällen im Publikum. Wenn man sich aber dieser Klippe des Filmes stellt, dann erfährt man, wozu ein Mensch in außergewöhnlichen Situationen fähig sein und dass es einen Überlebensdrang um jeden Preis geben kann – koste es, was es wolle.

In 127 Hours zeigt Danny Boyle durch schöngefärbte und auch hässliche Bilder mit wagemutigen Inszenierungen die Verzweiflung und auch Demut von Aron, der letztendlich durch seinen brutalen aber wagemutigen Schritt den Beginn seines zweiten Lebens einläutet. In James Franco hat Boyle den absolut perfekten Schauspieler gefunden, der es mit größter Bravour und unglaublicher Intensität schafft, den Überlebenskampf vom einstigen Großmaul zum reinen Überlebenden Aron Ralston mitreißend, facettenreich und zugleich als bewegendes Psychodrama darzustellen, das sich noch lange, sehr lange, in Erinnerung behält!
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/127-hours-2010